Mit einem umfassenden und radikalen Ansatz soll die heimische Nutztierhaltung
besser in Übereinstimmung mit den gesellschaftlichen Erwartungen gebracht
werden. Das geht aus einem Strategiepapier zur Tierhaltung hervor, das die
Deutsche Agrarforschungsallianz (DAFA) jetzt beschlossen hat. Darin plädieren die in der DAFA zusammengeschlossenen
55 Forschungseinrichtungen für die Entwicklung gänzlich neuer
Produktionssysteme in der Schweine- und Geflügelhaltung. In ihrem Papier
sprechen die Autoren von einer „großen Herausforderung“, der sich die
Wissenschaft neben einer Weiterentwicklung bestehender Systeme stellen müsse.
Dabei müssten jedoch zugleich die Vermarktungspotentiale alternativer
Produktionssysteme untersucht werden. In der Milchviehhaltung sehen die
Forscher erheblichen Bedarf in der Verbesserung der individuellen und der
Herdengesundheit sowie in der Gestaltung automatisierter Haltungssysteme.
Bemühen will sich die DAFA ferner um Konzepte zur Steuerung der räumlichen
Verteilung der Nutztierhaltung nach dem Nachhaltigkeitsprinzip. Schließlich
betonen die Forscher die Notwendigkeit, Indikatorensysteme zur Bewertung von
Haltungssystemen insbesondere im Hinblick auf das Tierwohl zu entwickeln und
gesellschaftliche Erwartungen an die landwirtschaftliche Tierhaltung zu
analysieren.
Zustand der Nutztierhaltung messbar verbessern
Das Strategiepapier ist das Resultat einer Reihe von
Konferenzen und Beratungen im Rahmen des Fachforums Nutztiere, das die DAFA im
Sommer letzten Jahres eingerichtet hatte und an denen sich neben den
Wissenschaftlern auch die Agrarwirtschaft sowie Verbände und Organisationen aus
dem Bereich der Tierhaltung beteiligt hatten. Ziel der DAFA-Nutztierstrategie
ist es, eine messbare Verbesserung des Zustands der Nutztierhaltung
herbeizuführen und die Produktionssysteme bestmöglich mit den Erwartungen der
Gesellschaft in Einklang zu bringen. Mit diesem Anspruch geht die DAFA über das
Anforderungsniveau hinaus, das bislang üblicherweise an Forschungsverbünde
gestellt wird. Keine Illusionen machen sich die Wissenschaftler darüber, dass
dieses hochgesteckte Ziel nur dann zu erfüllen sein dürfte, wenn es gelingt,
Wirtschaft, Politik und Gesellschaft intensiv einzubinden.
Sechs Cluster
Um der komplexen Thematik gerecht zu werden, hatte die DAFA
sechs verschiedene Cluster eingerichtet: Gesellschaft, Indikatoren, Ländlicher
Raum, Rind, Schwein und Geflügel. In einigen Clustern sollte nach Auffassung
der Wissenschaftler der Versuch unternommen werden, die etablierten Produktionssysteme
komplett zu überdenken und grundlegend andere Haltungsformen zu entwickeln.
Daneben sind aber auch Forschungsaktivitäten vorgesehen, die an die derzeit
üblichen Produktionssysteme anknüpfen und in Zusammenarbeit mit der
landwirtschaftlichen Praxis schrittweise Veränderungen entwickeln sollen. Im
Mittelpunkt des Clusters „Gesellschaft“ stehen die Erwartungen, die die
Bevölkerung an die Nutztierhaltung hat, sowie die Möglichkeiten, diese
Erwartungen unter den Bedingungen einer globalisierten Marktwirtschaft zu
erfüllen. Die Arbeit in den Clustern ist langfristig ausgerichtet. Ihre Aufgabe
besteht darin, den Erkenntnisfortschritt fortlaufend zu bewerten, die
Teilstrategien bei Bedarf anzupassen und im Dialog mit den Forschungsförderern
auf zielgerichtete Förderprogramme hinzuwirken. Je Cluster wurden zwei bis drei
Wissenschaftler als Clustersprecher benannt. Diese Personen haben in besonderem
Maße dafür Sorge zu tragen, dass bei den späteren Einzelprojekten das
gemeinsame Ziel nicht aus den Augen verloren wird.
Politik gefordert
Gefordert sieht die DAFA nunmehr vor allem die Politik. So
könnten die entwickelten Vorstellungen nur umgesetzt werden, wenn die Politik
den DAFA-Vorschlag aufgreife und ihre Forschungsförderung entsprechend
ausrichte. Die Wissenschaftler räumen ein, dass die Entwicklung einer
kohärenten Förderstrategie zur Umsetzung der DAFA-Strategie angesichts der
vielgestaltigen Struktur der deutschen Forschungsförderlandschaft „keine
leichte Aufgabe“ sein werde. Hinzu komme, dass neben der Forschungsförderung
auch die Agrarpolitik finanzielle Anreize setzen müsse, um landwirtschaftliche
Betriebe als Innovationspartner für die Mitwirkung zu gewinnen. Dabei machen
die Forscher darauf aufmerksam, dass die derzeit gewährte öffentliche
Unterstützung für den Agrarsektor vornehmlich der landwirtschaftlichen
Flächennutzung zugute komme. Ausdrücklich verweist die DAFA auf die überragende
wirtschaftliche Bedeutung, die die Nutztierhaltung für den deutschen
Agrarsektor habe. So stammten etwa 60 % der landwirtschaftlichen Einkommen
aus der Tierhaltung. Den finanziellen Aufwand für die erforderlichen und
teilweise langfristig angelegten Forschungsarbeiten veranschlagt die DAFA auf
20 Mio Euro im Jahr. Dies entspräche umgerechnet auf jedes in Deutschland
gehaltene Nutztier einem Finanzbeitrag von rund 3 Cent pro Tier.
AgE