„49 Cent im Supermarkt schockieren!“

49 Cent im Supermarkt schockieren! - Foto: Archiv
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Interview Die katastrophale Situation am Milchmarkt, die Rolle der Landwirtschaft beim Klimaschutz und die Zeitvorgaben zum Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration waren Themen der Agrarministerkonferenz von Bund und Ländern (AMK). LAND & Forst fragte bei Landvolkvizepräsident Albert Schulte to Brinke nach, welche Folgen er für die Betriebe sieht.

Die AMK richtet ihr Augenmerk mit den jüngsten Beschlüssen zum Milchmarkt auf die Mengenreduzierung. Ist das der richtige Ansatz, um den Markt tatsächlich schnell wieder ins Lot zu bekommen?
Es wird sicherlich keine einfache Lösung geben, aber der Ruf einiger weniger Akteure am Milchmarkt nach staatlichen Eingriffen ist nicht hilfreich. In 30 Jahren Milchquote haben wir auch kata­strophale Preise erlebt, die höheren Erlöse nach der Krise von 2009 haben leider auch die höhere Milchanlieferung mit verursacht. Staatlich verordnete Eingriffe in die Milcherzeugung werden immer als ungerecht empfunden und haben die wirtschaftenden Betriebe in den vergangenen Jahren viele Millionen Euro gekostet.

Welche Lösung würden Sie für den Berufsstand bevorzugen?
Keinesfalls dürfen wir die Wettbewerbsfähigkeit unserer Höfe weiter beschneiden. Dagegen müssen wir beispielsweise die Vermarktung nochmals kritisch durchleuchten: Bieten Verkaufskontore Chancen? Können die Molkereien über Spezialprodukte bessere Preise erzielen? Wie finden Terminbörsen mehr Akzeptanz? Wie geben wir die Signale des Marktes schneller an die Landwirte weiter? Welche Instrumente können in „guten Zeiten“ genutzt werden, um Margen abzusichern? Auf diese Fragen müssen wir gemeinsam mit unseren Vermarktern, unseren Genossenschaften langfristig Antworten finden. Kurzfristig benötigen die Betriebsleiter unbedingt Liquiditätshilfen wie Bürgschaften und steuerliche Erleichterungen, um durch das lange Tal der Tränen zu kommen.

Lässt sich tatsächlich Milch aus dem Markt „herauskaufen“?
Es wird immer auf das Beispiel Campina verwiesen. Dort gab es zu Jahresanfang Engpässe in der Verarbeitung. In der Not wurde Landwirten, die ihre Milchmenge nicht steigern, ein Bonus von zwei Cent je Kilogramm in Aussicht gestellt. Das ist die Molkerei teuer zu stehen gekommen. Auf jeden Fall muss zuvor geklärt werden, welcher Topf zur Finanzierung der Prämie für eine Mengenreduzierung angezapft wird. Völlig undenkbar ist es, dafür im kommenden Jahr die EU-Prämien für alle Landwirte zu kürzen!

Landwirte fordern immer wieder das Kartellamt zum Handeln auf. Nun sollen die Lieferbeziehungen zwischen Molkereien und Milcherzeugern untersucht werden. Ist das der richtige Ansatz?
Kontrolle ist immer gut. Sie sollte aber nicht dazu führen, dass die Freiheit in der Vertragsgestaltung zwischen Landwirten und Molkereien beschnitten wird. Hier kommt den Milcherzeugern in den genossenschaftlichen Gremien eine besondere Verantwortung zu. Zielführender wäre es, wenn das Kartellamt endlich die Außenbeziehungen der Molkereien zum Handel kritisch analysieren würde. Dass hier etwas nicht stimmt, zeigt der erneute Preisdruck.

Macht Sie der Preis zornig?
Ein Trinkmilchpreis im Supermarkt von 49 Cent je Liter ist aus Sicht der Milcherzeuger schlicht schockierend. Gesellschaft und Handel verlangen von uns eine nachhaltige Wirtschaftsweise und blenden völlig aus, dass dazu auch eine soziale und wirtschaftliche Seite gehören. Wir Landwirte ersticken in Auflagen, aber die Erlöse decken zurzeit bei weitem nicht unsere Kosten. Das hat mit Nachhaltigkeit überhaupt nichts zu tun.

Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich die AMK auch zur Weiterentwicklung der NEC-Richtlinie geäußert. Wie bewerten Sie diese Aussagen?
Es ist schon erfreulich, dass die Umweltauswirkungen der Landwirtschaft mittlerweile wieder etwas realitätsnäher beurteilt werden. Die Minister erkennen an, welcher enorme zusätzliche Aufwand notwendig ist, um die 2010 beschlossene Obergrenze von 550 Kilotonnen Ammoniakemissionen zu erreichen. Erstmals wird nun eine Abwägung zwischen den Belangen des Tierwohls und des Umweltschutzes vorgenommen. Ansonsten hätten wir die gesellschaftliche Forderung nach mehr Tierwohl zum Beispiel durch Weidehaltung und Offenställe ignorieren müssen.  

Reichen die von der AMK beschlossenen Vorgaben aus?
Die Landwirtschaft hat eine Sonderrolle, die jetzt auch beim Klimaschutzabkommen in Paris anerkannt wurde. Landwirtschaft stößt zweifelsfrei Klimagase aus, aber nur Landwirtschaft kann zugleich CO2 binden.

Die AMK hat auch die betäubungslose Ferkelkastration behandelt, lassen sich echte Ausstiegsszenarien erkennen?
Die sehen wir zurzeit leider nicht. Auch aus dem Protokoll der AMK lässt sich nachlesen, dass Alternativen mit Pro­blemen behaftet sind, für das Schwänzekupieren gilt leider Ähnliches. Die im Vorfeld gesetzte Zeitschiene lässt sich damit nicht halten, wenn wir tatsächlich Verbesserungen im Tierschutz erreichen wollen. Sobald sich echte Lösungen abzeichnen, sind wir natürlich sofort dabei.
Interview: Gabi von der Brelie