Entscheidung fällt auf dem Land

Moorlandschaft
Renaturierung von Moorböden, Foto: Landpixel

Energiewende In der Stadt kann man Strom sparen, der Erfolg der Energiewende aber wird auf dem Land entschieden, meint der niedersächsische Umweltminister Stefan Birkner (FDP). Wir fragten ihn nach Kompensationsansprüchen bei Freileitungen, Absurditäten des starren EU-Naturschutzrechts, seiner Linie beim Moorschutz, neuen EEG-Plänen und der Zukunft der jüngsten Umsiedler, der Wölfe.

Wenige Tage vor diesem Gespräch wurde ein neues großes Naturschutzprojekt bekanntgegeben: Für die Renaturierung der Hannoverschen Moorgeest stellen EU und Land 11,4 Millionen Euro zur Verfügung. Was bedeutet das für die Bauern, die dort wirtschaften?

Die Hannoversche Moorgeest ist besonders wichtig für den Natur- und Klimaschutz, weil es sich um das besterhaltene Hochmoor im Land handelt. Das Projekt hat eine recht lange Vorgeschichte. Es gab sehr viele Gespräche vor Ort, in denen immer wieder ausdiskutiert wurde, was geht und was nicht. Zwischendurch schien es auch schon einmal so, als würde es nicht gelingen, einen Konsens mit den Grundeigentümern und Landnutzern zu erzielen. Der Schlüssel zum Erfolg lag letztendlich darin, vom ursprünglichen Vorhaben ein Stück abzurücken. Zunächst war vorgesehen, auch Flächen in den Randbereichen einzubeziehen, die heute landwirtschaftlich genutzt werden. Der jetzige Weg sieht vor, im Wesentlichen den heute schon unter Naturschutz stehenden Kernbereich zu renaturieren und den Randbereich in der Bewirtschaftung zu lassen. Soweit es sich absehen lässt, wird das Projekt keine negativen Auswirkungen für die Landwirte haben, eher sogar Vorteile bringen.

Inwiefern Vorteile?

Die im Kernbereich liegenden Flächen unterliegen ohnehin Naturschutzauflagen und dürfen nicht bewirtschaftet werden. Im Zuge eines Flurneuordnungsverfahrens erhalten die Eigentümer Flächen außerhalb, die dann natürlich genutzt werden können. Es gibt bei dem einen oder anderen noch eine gewisse Skepsis, aber der Fahrplan ist mit der Projektgruppe, in der auch Landwirte mitwirken, abgestimmt. Diese Projektgruppe wird auch an der weiteren Umsetzung beteiligt sein. Das Ganze ist ein aufwändiges Verfahren. Aber es ist uns wichtig, Naturschutz nicht gegen die Menschen vor Ort durchzusetzen. Wir sind ein wenig stolz darauf, dass die EU dieses Projekt mit 8,5 Millionen Euro fördert – das ist die größte Summe, die sie im Rahmen der „Life+“-Förderung in Deutschland einbringt.

Moore spielen beim Klimaschutz eine wichtige Rolle, sind aber in Niedersachsen auch für die Landwirtschaft unverzichtbar. Welchen Weg wird das Land im Umgang mit abgetorften Flächen gehen?

Niedersachsen hat sich dafür mit dem Moorschutzprogramm eine Linie vorgegeben, die es auch verfolgt. In den Diskussionen um das Landesraumordnungsprogramm gab es seitens der Landwirtschaft den Wunsch, abgetorfte Flächen grundsätzlich oder zumindest stärker in die Nachnutzung zu nehmen, statt sie wiederzuvernässen. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass es auch andere Forderungen an den für Klimaschutz zuständigen Minister gab. Ich halte grundsätzlich nichts davon, zwischen Extremen zu wählen. Die vollständige Wiedervernässung wäre so ein Extrem. Besser ist, sich im Einzelfall anzuschauen, was unseren naturschutzfachlichen Prioritäten am ehesten gerecht wird und was sich umsetzen lässt. Dabei sollten wir uns auf zentrale Flächen konzentrieren, wo man großräumigere Naturschutzprojekte realisieren kann.

Beim Thema knappe Flächen kommt man zwangsläufig auf die Energiewende zu sprechen. War die Bundesregierung nicht mit dem Ziel angetreten, neben der Flächenkompensation auch das Ersatzgeld für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen möglich zu machen?

Im Koalitionsvertrag ist festgelegt, dass den Ländern die Möglichkeit eröffnet werden soll, gleichwertig Ersatzgeld als Ausgleich für Eingriffe in den Naturhaushalt einzufordern. Es ist für mich völlig enttäuschend, dass sich in dieser Hinsicht seit 2009 nichts getan hat und offenkundig auch weiterhin nichts tut. Im Grunde reicht es, mit einem einzigen Federstrich zwei Worte im Bundesnaturschutzgesetz zu streichen, dann könnten die Länder abweichend vom festgeschriebenen Vorrang der Kompensationsmaßnahmen. Aber auch Bundesumweltminister Peter Altmaier zögert.Immerhin ist aber eine Bundesverordnung in Vorbereitung.

Diese Kompensationsverordnung aber kann das Bundesnaturschutzgesetz nicht ändern, sondern möglicherweise nur die eine oder andere Ausweitung im Vollzug erreichen. Wir sehen sie deshalb skeptisch. Sie erfüllt nicht unsere Forderung nach einer Gleichrangigkeit beider Alternativen. Selbst wenn sie dann käme, würde sie aber in Niedersachsen nicht gelten. Das wiederum rührt aus der Föderalismusreform her, als alle Länder eine vom Bund in das Bundesnaturschutzgesetz aufgenommene Klausel, die sogenannte Ermächtigungsregelung, abgelehnt haben. Niedersachsen hatte diese Regelung damals für unanwendbar erklärt. Das würde nun auch für die Kompensationsverordnung gelten.

Heißt das, für die neuen Freileitungen müssen vorrangig Landwirte ihre Flächen hergeben?

In Niedersachsen nicht. Erhebliche Eingriffe in die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes bestehen unter Freileitungen nicht, deshalb ist kein Ausgleich nötig. Den Eingriff in das Landschaftsbild können wir nicht real, also durch Flächen, ausgleichen, hier wird der Investor Ersatzgeldzahlungen leisten müssen. Es werden für Freileitungen also keine zusätzlichen landwirtschaftlichen Flächen in Anspruch genommen. Wir haben dazu bereits mit den beteiligten Landkreisen gesprochen und eine entsprechende Weisung angekündigt.

Müssen Sie nicht aus bestimmten Kreisen mit dem Vorwurf rechnen, hier eine Art Ablasshandel zuzulassen – quasi Geld gegen reine Seele?

Den Vorwurf gibt es. Ich halte ihn nicht für berechtigt, weil das Ersatzgeld ja nicht dazu dient, Löcher im Haushalt zu stopfen. Vielmehr werden damit zusätzliche Naturschutzprojekte finanziert. Wir kommen damit in unseren Bemühungen einen deutlichen Schritt voran, vorhandene Schutzgebiete qualitativ aufzuwerten. Damit haben die am Naturpark Steinhuder Meer anliegenden Landkreise schon gute Erfahrungen gemacht.

Können Sie sich vorstellen, bei Energiewende-Projekten generell auf Flächenkompensation zu verzichten?

Da wäre ich sofort dabei. In diese Richtung geht die Initiative meiner Partei auf Bundesebene. Hintergrund der Überlegung ist, dass eine Wende in der Energiepolitik, die nach Fukushima aus guten Gründen beschlossen worden ist, am Ende doch nicht zulasten der Flächeneigentümer und -nutzer gehen kann. Für mich ist klar, dass die Energiewende im ländlichen Raum entschieden wird. In den Ballungsgebieten kann man Strom sparen, aber auf dem Land soll er erzeugt werden. Fehlt hier die Akzeptanz, ist das ganze Vorhaben gefährdet. Deshalb sind solche Überlegungen zielführend. Wir gehen jetzt erst einmal den Weg, Ersatzgeld statt Flächen in Anspruch zu nehmen.

Um den Flächenverbrauch gering zu halten, hilft manchmal ja auch die Vernunft ein ganzes Stück weiter. Dass neue Trassen um Natura-2000-Gebiete herumführen, obwohl es im Schutzgebiet bereits eine ältere Leitung gibt, gehört für mich zu den Absurditäten, die uns nachdenklich machen sollten. Ich würde mir wünschen, dass man wenigsten die Chance bekommt, abzuwägen statt von vornherein festgelegt zu sein. Es liegt mir fern, an solchen Stellen den Naturschutz zu schleifen, aber ich würde gern die Interessen der Anwohner und die Vorgaben unserer Raumordnung berücksichtigen. Das europäische Recht ist hier aber sehr starr. Wenn jedoch bei solchen großen Projekten nicht der gesunde Menschenverstand zum Tragen kommt, müssen wir uns über Akzeptanzprobleme in der Bevölkerung nicht wundern.

Die FDP hat eine EEG-Reformgruppe unter Ihrer Leitung eingerichtet. Was ist von ihr zu erwarten?

In erster Linie geht es darum, wie die Förderung ausgestaltet sein muss. Wir wollen nicht ein Ende der Förderung, sondern jeden Cent effizienter als bisher einsetzen. Wir haben gerade gesehen, wie schwer es ist, Fehlsteuerungen mithilfe der Gesetzgebung zu korrigieren. Am Ende stehen wieder nur Kompromisse. Wir müssen weg von dem jetzigen System, das mit seinen Preisfestlegungen und Mengenvorgaben ja gewisse planwirtschaftliche Züge trägt. Mit den derzeitigen Mechanismen werden wir die angestrebten Ziele nicht zu vertretbaren Preisen erreichen. Wenn Mitte Oktober die Höhe der künftigen Umlage bekanntgegeben wird, rechne ich mit einem Aufschrei der Empörung. Wir bekommen in der Bevölkerung ein Akzeptanzproblem und in der Wirtschaft ein Wettbewerbsproblem. Deshalb bereiten wir Modelle vor, die rechtzeitig vor diesem Termin zur Diskussion gestellt werden. Im Moment hören wir dazu Experten an.

In nördlichen Regionen beklagen Landwirte große Schäden durch Gänsefraß. Haben Sie das Thema im Blick?

Gänsefraß ist für uns dauerhaft und landesweit ein großes Thema. Im Rheiderland haben wir im vorigen Jahr einen großen Schritt gemacht und nach Überprüfung die Prämien im Vertragsnaturschutz angepasst. Dem liegen Berechnungen der Landwirtschaftskammer zugrunde. Die neuen Prämien wurden gerade eben in Brüssel genehmigt. Sie werden landesweit gelten. Ich selbst habe mich vor kurzem im Kehdinger Land umgesehen. Wir sind bereit, auch an der Unterelbe unseren Beitrag zu leisten. Mit den höheren Sätzen sollte der Druck nun aber raus sein.
Interview: Ralf Stephan