EIN KOMMENTAR VON Gabi von der Brelie
Erntezeiten sind Stresszeiten: Wenn andere Urlaub machen, macht sich in Bauernfamilien nervöse Unruhe breit. Es ist nicht nur die Witterung, die bloß liegende Nerven reizt.
Nahtlos folgen dem schwierigen Vegetationsverlauf die Turbulenzen des Marktes. International beeinflusste Getreidenotierungen dürften weitaus schwieriger zu akzeptieren sein als unerwartete Wetterphänomene. Wer im Frühjahr einen Teil seines Weizens zu guten Preisen verkauft glaubte, durfte sich leider nicht allzu lange freuen. In den vergangenen Wochen folgte einer schnellen Verkaufsentscheidung leider allzu bald ein ausgeprägter Kater, weil die Preise nur noch eine Richtung kannten, nämlich aufwärts.
Der Freude über einen guten Abschluss vor wenigen Wochen folgte damit die Reue, zu eilig verkauft zu haben. Auf der anderen Seite muss mancher Landwirt, der hohe Preise mitnehmen konnte, nun darum bangen, seinen Vertrag erfüllen zu können.
Die Witterung hat die Märkte noch deutlicher beeinflusst, und zwar in einem Ausmaß, das kaum jemand vorherzusagen wusste. Auswinterungsschäden folgten ein zu trockenes Frühjahr und ein nasser Frühsommer, in den USA und in Russland lassen sich die durch Trockenheit hervorgerufenen Mindererträge kaum absehen. Die Aussagekraft von Ernteschätzungen ist überholt, ehe sie über moderne Kommunikationsmittel ihre Empfänger erreicht haben. Die alte Bauernweisheit „Es zählt, was auf der Tenne liegt“ bekommt eine neue Aktualität.
Hektik verursacht auf den Höfen nicht nur die Ernte selbst, sondern noch mehr deren bester Vermarktungszeitpunkt. Gute Ratschläge und Prognosen machen auch hier rasch die Runde. Ein Vertreter eines großen Verarbeitungsunternehmens hat kürzlich leicht kokett gesagt, das Preisniveau sei ihm egal, wenn die Spanne stimme und möglichst über der des Mitbewerbers liege. Die ständige Beobachtung der Märkte, das Abwägen von Prognosen und Stimmungen ist ebenso wichtig geworden wie ackerbauliches Können. Persönliche Erfahrungen prägen die richtige Verkaufsstrategie zu. Wer mehr Risiko eingehen mag, wird anders entscheiden als derjenige, der auf Sicherheit setzt. Auch die alte Bauernweisheit muss ergänzt werden, es zählt nicht nur, was aus der Tenne liegt. Neben der Erntemenge spielt der erlöste Preis eine ebenso wichtige Rolle wie die aufgewendeten Kosten. Erntestress und Markthektik zehren an den Nerven, bestimmen aber nicht allein die Bilanz des Jahres.
Gabi von der Brelie