Grüne greifen Privilegierungen an

Grüne greifen Privilegierungen an -

Tierhaltung Als Reaktion auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Baurechts, mit dem das privilegierte Bauen im Außenbereich für große gewerbliche Tierhaltungen gestrichen werden soll, haben die Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag jetzt einen „Gegenentwurf“ vorgelegt. Damit will die Partei sowohl das Baurecht als auch das Bundesimmissionsschutzrecht für Stallbauten ganz erheblich verschärfen.
Neue gewerbliche Tierhaltungen, für deren Genehmigung schon heute eine Umweltverträglichkeitsuntersuchung und -prüfung (UVP-Pflicht) vorgeschrieben ist, sollen nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zukünftig nur noch auf Basis eines von der Kommune festgesetzten Bebauungsplans errichtet werden dürfen. Das im Baurecht verankerte Privileg, an einem Standort im Außenbereich auch ohne einen von der Ratsmehrheit abgesegneten Bebauungsplan Ställe jeder Größenordnung bauen zu können, soll dazu beschränkt werden. Ab 85.000 Hähnchen, 60.000 Puten- oder Legehennen, 3.000 Mastschweinen oder 900 Sauen soll dieses Recht nicht mehr für „gewerbliche“ Haltungen ohne ein Mindestmaß an landwirtschaftlicher Bodennutzung gelten.

UVP-Pflicht schon eher?
In Abhängigkeit vom Standort kann die gesetzliche UVP-Pflicht von den Behörden allerdings bereits ab  30.000 Hähnchen, 15.000 Puten- oder Legehennen, 1.500 Mastschweinen oder 560 Sauen festgesetzt werden und damit bei gewerblicher Haltung das Außenbereichsprivileg schon bei dieser Größenordnung zu Fall bringen. Milchviehbetriebe und Bullenmäster, die überwiegend auf eigener Futtergrundlage und selten gewerblich wirtschaften, sind von der Änderung weniger betroffen. Gewerbliche Rinderhalter können ab 600 Tierplätzen von der Entprivilegierung bedroht sein, ab dieser Schwelle kann auch bei Milchvieh oder Mastrindern eine UVP-Pflicht behördlich festgesetzt werden. Ob es zu einer klaren rechtssicheren Festlegung eindeutiger Schwellenwerte oder zu einer Verweisung auf die von der Bundesregierung vorgeschlagene, unkalkulierbare behördliche UVP-Festsetzung kommt, hängt von den Beratungen des Bundestages in den kommenden Wochen ab.

Nur mit Bebauungsplan?
Geht es nach den Grünen im Bundestag, soll die Bundesregierung noch deutlich weitergehen und auch die Schwellenwerte für die UVP und die Tierplätze für den Übergang vom einfachen Baugenehmigungsverfahren zur Genehmigung nach Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) halbieren. Unhängig von der Flächenausstattung eines Landwirts soll ein Stallbau nach diesem Oppositions-Entwurf nur privilegiert ohne Bebauungsplan der Gemeinde errichtet werden, wenn dafür ein Genehmigungsverfahren ohne Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen ist. Damit wäre das Außenbereichsprivileg ausnahmslos spätestens ab 20.000 Hähnchen, Puten- oder Legehennen, 1.000 Mastschweinen oder 375 Sauen weg – für die bodengebundene landwirtschaftliche Haltung ebenso wie für die gewerbliche.

Bei ungünstigen Standorten mit behördlicher UVP-Festsetzung könnte eine derartige Regelung im Einzelfall schon Betriebe ab 15.000 Hähnchen, 7.500 Puten oder Legehennen, 750 Mastschweinen oder 280 Sauen treffen. Durch die gesetzliche Kumulierung gemischter Bestände würden Sauenhalter, die ihre Ferkel selbst ausmästen wollen, nach den Vorstellungen der Grünen schon ab Bestandsgrößen von unter 100 Sauen die Privilegierung verlieren. Sie wären für jede weitere Entwicklung ihrer Hofstelle auf einen Bebauungsplan angewiesen! Milchvieh- oder Bullenhalter wären bei dieser Verschärfung unter ungünstigen Standortverhältnissen, z. B. in der Nähe von Schutzgebieten, bereits ab 300 Plätzen vom Votum des Gemeinderates abhängig, also bereits mit 150 Kühen zzgl. weiblicher Nachzucht.

Entwicklungsbremse?
Als weitere Verschärfungen sieht der Antrag vor, dass Städte und Gemeinden ein Bauverbot für neue Tierhaltungsanlagen erlassen dürfen, wenn ein Viehbesatz von mehr als zwei GVE/ha LN in der Kommune überschritten ist. Unklar bleibt, ob die Grünen damit wirklich selbst kleinste Entwicklungsschritte der Tierhalter in diesen Kommunen ausschließlich vom Votum des Gemeinderates abhängig machen wollen. In Niedersachsen könnten mindestens 80 Gemeinden und Städte ein derartiges Bauverbot sofort nutzen. Schließlich verknüpfen die Grünen die Futterbasis noch stärker mit dem Baurecht: Mindestens die Hälfte des eingesetzten Futters soll auf eigener Fläche erzeugt werden.
Derzeit muss die Fläche dafür potenziell ausreichen, die tatsächliche eigene Verfütterung kann darunter liegen. Mit dieser Verschärfung sollen über eine Änderung der Baunutzungsverordnung Landwirte offenbar auch daran gehindert werden, ihre Tierhaltung auf bestehenden Hofstellen innerhalb des Dorfgebietes auszudehnen.

Die Oppositionspartei fordert die Bundesregierung auf, standortunabhängige Grenzwerte für  Ammoniakimmissionen sowie verbindliche, scharfe Regelungen zur Vermeidung von Geruchs- und Keimbelastungen durch die Tierhaltung zu treffen, einschließlich einer generellen Pflicht zu Keimgutachten für BImSch-Betriebe. Als „I-Tüpfelchen“ soll Nachbarn ein Klagerecht zur Durchsetzung nicht nur von gesetzlichen Schutzanforderungen, sondern auch zu vorsorglichen Maßnahmen wie dem Einbau von Abluftfiltern eingeräumt werden.

Regionale Viehdichte?
Bei den anderen Oppositionsfraktionen dürften die Grünen sicherlich Bündnispartner finden. Die SPD hatte zuletzt in einem Antrag aus 2011 gefordert, die bauplanungsrechtliche Privilegierung für alle gewerblichen Tierhaltungen und „industrielle Tierhaltung“ unabhängig von einer Größenschwelle zu streichen und in Gebieten mit hohem Viehbesatz generell auch landwirtschaftliche Betriebe von der Privilegierung auszunehmen, konkrete Schwellenwerte waren sie schuldig geblieben.

Mit Blick auf die derzeitigen Mehrheitsverhältnisse ist nicht zu erwarten, dass der Antrag der Grünen im Bundestag eine realistische Chance auf Verwirklichung hat. Aber er macht deutlich, dass der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf noch zu deutlichen parteipolitischen Auseinandersetzungen führen wird – und dass bei anderen politischen Mehrheitsverhältnissen mit Verschärfungen gerechnet werden muss!
Hartmut Schlepps