In der Branche muss noch mehr gehen

In der Branche muss noch mehr gehen - Foto: Archiv
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Milchmarkt Nach einer kurzen Verschnaufpause wird es schon wieder eng für Milcherzeuger. Haben Molkereien und Lieferanten nichts gelernt? Wer soll die Mengen steuern? Wir fragten den „Milchpräsidenten“ des DBV, Karsten Schmal.

Bundesminister Schmidt kritisierte zu Beginn der Grünen Woche die Milchbranche für seine Verhältnisse sehr deutlich: Sie habe immer noch nicht ihre Hausaufgaben gemacht. Sieht der DBV das auch so?
Das habe ich genauso wahrgenommen: Was die Beziehungen zwischen Molkereien und Lieferanten betrifft, gehen dem Minister die Veränderungen nicht schnell genug. Wir stellen fest, dass auch dank unserer Arbeit erste Veränderungen erreicht wurden. Der Minister hat nun angemahnt, dass das noch nicht überall in Deutschland, nicht bei allen Molkereien oder mit sehr unterschiedlichem Tempo geschieht. Molkereien und Lieferanten müssen sich schon Gedanken machen, wie man denn auf Signale des Marktes zu reagieren hat. Die Haltung des Ministers ist bekannt: Gelingt das nicht, wird die Politik eingreifen müssen.

Mit den Lieferanten ist auch der Bauernverband angesprochen. Was ist denn jetzt noch zu erledigen?
Die Milcherzeuger, und ich bin ja selbst einer, sind sich bekanntlich nicht ganz einig. Die einen meinen, das müsse der Markt alleine regeln. Das höre ich vor allem im Norden und im Osten der Republik. Dann muss man aber auch mit Preisschwankungen leben und darf nicht nach der Politik rufen, wenn die Preise schlechter sind. Ich bin dagegen schon der Meinung, dass die Molkereien Instrumente in der Hand haben, an denen sie ablesen können, wann sich der Markt dreht. Die Frage ist: Wie geht man mit solchen Signalen um? Wenn eine Molkerei guten Absatz hat, hochwertige Produkte im Markt unterbringt, dann können die Erzeuger natürlich Gas geben. Andererseits gab es Anfang 2016 Molkereien, die konnten mehrere hundert Millionen Kilogramm Milch einfach nicht gescheit vermarkten und mussten damit auf den Spotmarkt.

Was sollten sie sonst tun?
Es gibt Molkereien, die haben da eine Notbremse eingebaut. Sie ziehen sich aus Märkten zurück, in denen die Verwertung für sie nicht ausreicht. Und sie sagen ihren Erzeugern auch: Stopp, diese Milch können wir nicht gebrauchen! Und damit sind wir bei dem Thema, ob wir über Menge reden wollen oder nicht.

Hat vielleicht die Zeit nicht ausgereicht, rechtzeitig vor dem neuen Preisrückgang solche Bremsen einzubauen? Oder geht es am Ende nur so, dass – wie es der EU-Abgeordnete Peter Jahr jetzt forderte – Brüssel einen Produktionsstopp verhängen muss?
Also, wir haben es ja lange erlebt, dass die Politik versucht hat, die Mengen zu steuern. Mich selbst hat die Quote seit 1984, dem Ende der Lehrzeit, begleitet. Und wir wissen deshalb inzwischen, dass das Eingreifen der Politik immer nur die zweitbeste Lösung ist. Als erste können auf die Signale des Marktes nun mal die reagieren, die diese Signale als erste empfangen. Das sind nicht die Politiker, sondern die Marktbeteiligten selbst.

Warum rutschen wir dann schon wieder in ein Preistief?
Bei den Milcherzeugern kommen diese Signale immer noch zu spät an. Wir alle wissen seit Ende September, spätestens Anfang Oktober, dass die Märkte wieder zurückgehen. Das ist an sich noch nicht dramatisch. Kritisch wird es aber, weil wir zwar vom Spotmarkt und vom Kieler Rohstoffwert niedrige Prognosen ableiten können, die Molkereien aber lange, in diesem Fall bis zum Jahresende, ihr hohes Auszahlungsniveau von zirka 40 Cent je Kilogramm für die gesamte Anlieferung beibehalten. Es gibt zudem eine Reihe von Möglichkeiten, die noch zu wenig oder gar nicht genutzt werden, wie die Preisabsicherung an der Leipziger Börse oder Back-to-back-Geschäfte. Doch es tut sich was. Es gibt sogar große Molkereigenossenschaften, die einen Festpreis für ihre Milcherzeuger einführen wollen. Man wird sehen, ob ein Jahr mit sinkenden Preisen dafür der richtige Zeitpunkt ist. Aber wichtig ist, dass solche Modelle vorbereitet und diskutiert werden. Sie werden in einem möglichen Preistal 2018 sicher noch nicht vollends greifen, aber ich bin zuversichtlich für die Zukunft.
Auf die Milcherzeuger kommt also viel Ungewohntes zu.
Das stimmt. Aber wir merken, dass sich gerade jüngere Betriebsleiter dafür sehr interessieren. Klar ist aber auch: Das alles führt nicht dazu, dass die Milchpreise steigen, sondern hilft lediglich, besser zu kalkulieren und Preisrückgänge abzufedern. Beim Dünger und beim Mischfutter machen wir schließlich auch Kontrakte, die mitunter länger als ein Jahr im Voraus liegen. Aber die wichtigste Einnahmequelle, die Milch, lassen wir einfach so laufen? Da können wir sicher noch besser werden.

Haben die Erzeuger den guten Preis mit größeren Mengen selbst kaputt gemacht?
Es wäre ein schlechter Unternehmer, der nicht produziert und seine Ressourcen ausschöpft, wenn Produktion sich lohnt. Allerdings gibt es auch ganz banale natürliche Gründe, warum die Milchmenge steigt. Die Grundfuttersituation scheint bundesweit so gut zu sein, dass das vorhandene Futter auch melkt. Außerdem ist die für uns Menschen unangenehme Witterung dieser Wochen für Kühe fast ideal, so dass sie gut Milch geben.

So oder so zeichnen sich große Mengensteigerungen ab.
Das ist so. Und ich gebe zu, mich haben einige Entwicklungen überrascht. Wir haben in vielen Regionen zwar weniger Erzeuger, aber mehr Milch. Zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, wo es teils durch den normalen Strukturwandel, aber teils auch wegen der schlechten Preise zehn Prozent weniger Milchviehhalter gibt. Zum Jahresanfang kam von dort aber 7,1 % mehr Milch als vor genau einem Jahr. Das ist ein Phänomen, das selbst erfahrene Marktbeobachter überrascht. Es ist allerdings auch kein Einzelfall. Die niederländischen Kollegen müssen zum Beispiel wegen der Phosphatquote um die 160.000 Kühe abgeben. Die Milchmenge sinkt aber nur um 0,1 %.

Würden höhere Interventionspreise den Markt besser stabilisieren?
Zunächst einmal sage ich allen, die die Intervention kritisieren: Wir können froh sein, dass es sie gab, zumal die  Zeiten nicht lange zurückliegen, in denen sich fast dreimal so viel in den Lagern stapelte. Ansonsten muss man immer streng darauf achten, dass die Intervention keine zusätzlichen Produktionsanreize in anderen Ländern auslöst. Ob es ein oder zwei Cent mehr geben sollte, darüber streiten wir nicht.

War 2017 ein gutes Jahr für Milchbauern?
Es war insofern ein gutes Jahr, als der Milchpreis stetig nach oben ging. Zum Ende des Anstiegs waren wir mit 39, 40 Cent auf einem Niveau angekommen, das wir auch brauchen. Allerdings reichen fünf Monate mit guten Preisen nicht aus, um zwei schlechte Jahre auszugleichen. Egal, wie groß der Betrieb ist.

In der Milchviehhaltung geht es nicht nur darum Milch zu erzeugen, sondern auch darum Grünland zu nutzen. Geht das auf dem marktliberalen Weg?
Allein aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist Milch besser mit Mais zu erzeugen. Die damit verbundene Sorge um das Grünland treffe ich überall in den Grünlandregionen an. Wir in Hessen haben 300.000 Hektar davon, aber nur noch Rinder für 200.000 Hektar. Umbrechen dürfen wir den Rest nicht, was machen wir also damit? Wir im Bauernverband sehen es mit Sorge, dass gerade in solchen Regionen, in denen wir die Milchviehhaltung brauchen, die Betriebe weniger werden. Denn dort besteht das Problem nicht in zu viel Viehhaltung, sondern in zu wenig Viehhaltung. Das kommt mir in der politischen Diskussion derzeit eindeutig zu kurz.

Sollten Lieferanten und Molkereien also immer auch an das Grünland denken?
Zumindest haben die Grünlandbetriebe mit guten Preisen bessere Chancen. Auch deshalb bin ich im vorigen Jahr quer durch das Land gefahren und habe für Mengendisziplin geworben. Dafür bin ich, zum Beispiel in Niedersachsen, von einigen kritisiert worden. Kaum jemand hatte es damals für möglich gehalten, dass die Menge wieder so steigen wird, wie wir es jetzt sehen. Vorher hatte aber auch kaum jemand erwartet, dass es eine solche Bremswirkung geben wird, wie wir sie dann erlebten. Es ist also bei Weitem nicht so, dass die Erzeuger nichts tun könnten. Oder dass es im EU-Maßstab keine Rolle spielen würde, ob wir in Deutschland größere oder kleinere Mengen auf den Markt bringen. Wir sind der größte Milcherzeuger in Europa, und es hat Signalwirkung, was wir hier tun.

Andere Erzeugerländer gehen einen anderen Weg, Irland zum Beispiel.
Das ist in der Tat beeindruckend, was die Iren tun. Gemeinsames Ziel von Milchbauern, Molkereien und Politik ist es dort, mit ihrem Grünland das Maximum an Milch zu erzeugen. Da gibt es zwar einige Punkte, die man kritisch sehen kann, wie den Stickstoffeinsatz oder die extrem hohen Pachtpreise. Aber die gemeinsame Strategie setzen sie so erfolgreich um, dass sie die für 2020 angestrebten acht Millionen Tonnen schon 2018 erreichen werden. Solche klaren gemeinsamen Ziele vermisse ich in Deutschland.

Das ist in einem Land, das fast nur aus Grünland besteht, sicher auch einfacher.
Gewiss, deshalb bleibt uns zunächst nur der schon beschriebene Weg: Jede einzelne Molkerei sollte ihre Produkte zu möglichst guten Preisen vermarkten. Die Iren gehen aber auch in der Vermarktung andere Wege als wir. Die hochpreisige Butter von Kerrygold zum Beispiel ist ja auch bei uns gut bekannt, in den USA ist sie Marktführer. Dahinter steht keine einzelne Molkerei, sondern es handelt sich um eine Art Dachmarke. Mehrere Molkereien vermarkten irische Weidebutter also weltweit gemeinsam. Und das mit Erfolg.

Hier in Berlin haben Sie sich mit Vertretern der Milchindustrie getroffen. Die Pressemitteilung fiel sehr knapp aus. Was wurde denn besprochen?
Es ging hauptsächlich um die Frage, wer in Deutschland Standards für unsere Produkte vorgibt. Ist es, wie beim Thema Gentechnikfreiheit, der Lebensmitteleinzelhandel? Oder sind wir selbst in der Lage Vorschläge zu machen und damit vor den Pflug zu kommen? Im Moment scheint es so zu sein, dass andere die Standards setzen. Dabei ist es nicht so, dass wir diese neuen Standards nicht erfüllen könnten. Die Frage ist aber, was wir dafür bekommen. So wie bei der gentechnikfreien Milch kann es jedenfalls nicht laufen: Heute gibt es einige Zehntel Cents mehr, aber morgen ist es Standard, und alle anderen werden schlechter bezahlt. Da ist etwas schiefgelaufen.

Sind das aber nicht die oft zitierten Erwartungen der Gesellschaft?
Wenn es denn so wäre! Hier geht es doch eher um Marketing des Lebensmittelhandels. Wir beobachten zunehmend, dass sich Handelsketten nach außen weniger über den Preis definieren als früher, sondern um die beste Marketingidee wetteifern. Wenn ein Vermarktungskonzept wie Gentechnikfreiheit im Verkauf zieht, dann müssen wir Bauern das liefern – selbst wenn Gentechnikfreiheit sonst nirgends auf der Welt ein Thema ist.

Hätte da ein starker Branchenverband nicht eine Aufgabe?
Der Deutsche Bauernverband hat sich von Anfang sehr stark für einen solchen Branchenverband gemacht. Nicht nur, um eine bessere Lobby zu haben, sondern um alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit nutzen zu können. Die Interessengemeinschaft Milch, auf die man sich dann einigte, wächst derzeit. Uelzena kam neu hinzu, Goldsteig aus Bayern tritt jetzt bei. Wir begleiten das positiv, sind aber der Meinung, dass da noch mehr möglich ist. Andere Länder, siehe Österreich, Irland oder Frankreich, machen uns das vor.
Interview: Ralf Stephan