Mehr Tierwohl muss bezahlt werden

Mehr Tierwohl muss bezahlt werden - Foto: Bergmann
Foto: Bergmann

DBV-Veredlungstag Immer neue Tierschutzforderungen seitens der
Verbraucher und Politiker, Preiskapriolen beim Ein- und Verkauf. Unter
dem Motto: „Ist der Veredlungsstandort Deutschland in Gefahr?“ lud der
Deutsche Bauernverband
zum Veredlungstag nach Schweringen in Niedersachsen ein.
Schon
lange stellen sich Landwirte die Frage, welche Zukunft die Tierhaltung
in Deutschland noch hat. 400 von ihnen nutzten die Gelegenheit, mit
Vertretern aus Beratung, Politik, des Lebensmitteleinzelhandels und der
Schlachtstufe zu diskutieren.

Anforderungen steigen

Ob es dabei
um mehr Platz für Mastschweine oder Sauen geht, das Verbot der
betäubungslosen Kastration oder die Genehmigung neuer Ställe, die
Tierschutzforderungen steigen geradezu inflationär, urteilte der neue
DBV-Veredlungspräsident Johannes Röring. Auch die von QS schon in
Angriff genommene Antibiotika-Datenbank ist immer wieder Thema unter
Landwirten. Zumindest eine kleine Sorge konnte Dr. Hermann-Josef
Nien­hoff, Geschäftsführer bei QS, den Zuhörern nehmen „Es wird keine
zwei Datenbanken geben“, versprach er, „wenn von staatlicher Seite eine
installiert werden wird.“ Die Bauern verweigern sich dem Tierschutz
nicht, stellte Röring klar, aber Experimente dürfen nicht auf ihrem
Rücken ausgetragen werden.

Dies betrifft zum Beispiel  das Kürzen der
Ferkelschwänze. Erst müssen weitere Untersuchungen die Ursache für das
Schwanzbeißen klären, bevor auf das Kupieren verzichtet werden kann.
Sonst wird ein Tierschutzproblem nur durch ein anderes ersetzt,
befürchtete er. Röring machte ebenfalls deutlich, dass moderne Ställe
ein Beitrag zum Tierschutz sind. Gleichzeitig hat dies die deutsche
Landwirtschaft so erfolgreich gemacht.

Fehlende Akzeptanz

In
diesem Punkt bekam er Zustimmung von Dr. Karin Schwabenbauer,
Unterabteilungsleiterin für Tiergesundheit und Tierschutz beim
Bundeslandwirtschaftsministerium (BMVEL). Sie sieht jedoch ein großes
Problem in der Entfremdung von städtischer und ländlicher Bevölkerung.
Aus diesem Grund habe die Kritik aus der Gesellschaft so massiv
zugenommen. „Hier fehlt ein offener Dialog und Transparenz“, sagte sie.
Erst wenn die Akzeptanz der Verbraucher da sei, hätte die Tierhaltung
nachhaltig Zukunft. Dieser Problematik habe sich das BMVEL angenommen.
Neue Forschungsprogramme sollen die moderne Landwirtschaft weiter
entwickeln, aber es müsse einen Dialog mit Landwirtschaft, Forschung und
Verbrauchern geben. Ihre Ausführungen, welche Forderungen gerade
umgesetzt werden oder sich in der aktuellen Planung befinden,
unterstützten indirekt Rörings Aussage über die „aktuelle, inflationäre
Steigerung“ von Tierschutzmaßnahmen. Zwar versicherte Schwabenbauer,
dass die Landwirte mit der Umsetzung nicht allein gelassen werden, wer
aber die höheren Kosten hierfür letztendlich tragen soll, konnte sie
nicht klären.

Beschäftigung kostet

Und dass mit mehr Tierwohl
mehr Kosten auf die Betriebe zukommen, zeigten die Ausführungen von
Peter Spandau von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen anhand
praktischer Forschungsergebnisse aus Haus Düsse.
Das immer wieder
geforderte erhöhte Platzangebot würde z.B. mit 2 bis 3 Euro/Tier zu
Buche schlagen, und das lediglich bei einem Flächenplus von
0,25 m2/Mastschwein. Auch ist Tierschutz nicht gleich Tierschutz, wies
Spandau nach. Geringere Schlitzweite oder Gummimatten sorgen zwar für
mehr Liegekomfort, aber eben auch für schmutzigere Tiere und für mehr
Emissionen. Dies führt letztendlich zu weniger Tierkomfort. Ähnliches
gilt für die Bewegungsbuchten für Sauen: auf der einen Seite mehr
Komfort für die Sauen, aber höhere Verluste bei den Saugferkeln.

Nicht
neu sind die Beschäftigungsmöglichkeiten für Mastschweine, um unter
anderem auch das Schwanzbeißen einzudämmen. Hier forderte Spandau mehr
Kreativität seitens der Landwirte: „Nur eine Kette reinzuhängen, reicht
nicht“. In Haus Düsse wurde ein „Wühlturm“ entwickelt. Mit einfachen
Mitteln und simpler Technik wird damit den Schweinen Stroh zur
Beschäftigung angeboten. Die Strohmenge pro Tier ist so gering, dass es
kein Problem mit der Gülle gibt. Aber auch hier bedeutet mehr Komfort
fürs Tier mehr Kosten für den Halter. Rund 2 Euro/Tier müssen für den
„Düsser Wühlturm“ eingeplant werden.
 Die von Verbraucherseite immer
wieder kritisierte „Massentierhaltung“ und die damit verbundene
Forderung nach kleinen Beständen ist für Spandau kein Kriterium für
Tierwohl. „Die Betriebe“, so argumentiert er, „sind nicht so groß
geworden, weil sie unbedingt mehr Tiere halten wollten, sondern weil sie
auf den Markt reagiert haben.“ Der Markt habe sich noch nie der
Produktion angepasst, sondern immer umgekehrt.

Überzogene
Forderungen, wie die komplette Umstellung auf Strohhaltung, wären nicht
nur mit hohen Kosten verbunden. Sie stellten auch die Entwicklung der
Vergangenheit hin zu höherer Arbeitsplatzqualität in Frage.
Artgerechtheit und Tierkomfort ließen sich auch steigern, ohne den
Betreuern schwere körperliche Arbeit abzufordern. Dies ist aber mit
höheren Kosten verbunden, die vor allem langfristig vom Markt getragen
werden müssen. Mehr Platz, mehr Beschäftigung, komfortablere Böden – die
Kosten dafür summieren sich nach Spandaus Berechnungen schnell auf 25
Euro/Tier. „Die aktuellen Mastschweinepreise von 1,90 Euro/kg SG sind
nicht schlecht“, sagte er, „aber sie lassen noch keinen Spielraum für
Investitionen im Bereich Tierwohl.“
Das bestätigte auch der Vortrag
von Matthias Kohlmüller von der Agrarmarkt-Informations-Gesellschaft
(AMI). Neben ständig steigenden Kosten für Energie, Pacht und Düngung
waren es in der Schweinehaltung die Futterkosten, die den
Deckungsbeitrag drückten. Auf der anderen Seite, erklärte Ludger Leifker
von Agravis, müssten die Rohstoffe für das Mischfutter so teuer sein,
denn auch sie sind landwirtschaftliche Produkte, die der Erzeuger
honoriert bekommen muss. Das ist aber weder für Sauenhalter noch für
Schweinemäster ein Trost.
Für 2012 geht Kohlmüller von einer
Bruttomarge von 9,90 Euro/Mastschwein. Um die Kosten in der
Schweinehaltung halbwegs zu decken, wäre eine Bruttomarge von rund 20
bis 25 Euro/Tier notwendig. Dies ist aber schon lange nicht mehr vom
Gros der Schweinemäster erreicht worden. Somit machte nach dem
Haltungsexperten Spandau auch der Marktexperte Kohlmüller klar, warum
kein Spielraum ist für kostspielige Experimente in der Tierhaltung.

Dr.
Ludger Breloh von REWE als Vertreter des Lebensmitteleinzelhandels
sowie Dr. Wilhelm Jäger (Tönnies) und Christian Leding (Westfleisch) 
als Vertreter der Schlachtstufe sahen hier den Verbraucher in der
Pflicht. Jedoch, so hatte Dr. Schwabenbauer vom BMELV eingangs
angemerkt, entscheidet der Verbraucher an der Ladentheke und in der
Regel nach ökonomischen Aspekten. Tierwohllabels wären eine Möglichkeit,
aber sie sollten gezielt verwendet werden. „Wildwuchs“ verunsichere den
Verbraucher.

Einig waren sich die Teilnehmer, dass mehr Tierwohl
honoriert werden muss. Der Mehrerlös steht dem Produzenten zu, der die
Leistung erbringt. Sowohl der LEH als auch die Schlachtstufe zeigten
sich bereit, beim Verbraucher dies auch durchzusetzen und an einem
Strang zu ziehen. Die Richtung blieb jedoch offen.

Einmischung erwünscht

Der
ISN-Vorsitzende Heinrich Dierkes stand neuen „Label-Programmen“ eher
kritisch gegenüber, denn der Marktanteil bliebe meist zu gering. Er
hofft, dass der Handel seine Ankündigung, die Maßnahmen der Landwirte
für mehr Tierwohl zu honorieren, auch erfüllen wird. Für ihn wäre es
wichtig, sich durch die neuen Maßnahmen nicht ins Bockshorn jagen zu
lassen, sondern dass die Landwirte  aktiv an der Gestaltung mitarbeiten.

Walter Heidl, Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, wies
nochmals ausdrücklich darauf hin, dass in der EU ein offener Markt
herrsche. Nur bestimmte Teile vom Schwein werden in Deutschland
vermarktet, der Rest müsse exportiert werden. Im Ausland würde jedoch
ein Mehr an Tierwohl kaum honoriert. Darüber hinaus sollten die
Standards, die für die Fleischproduktion in Deutschland gelten, für alle
Produkte verbindlich sein, die in Deutschland über die Ladentheke
gehen. Ansonsten würde der Wettbewerb verzerrt.
Renate Bergmann