Reaktion auf mehr Angebot

Reaktion auf mehr Angebot -

Milchpreise Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) hat die Preise für Frischprodukte deutlich gesenkt. Über Hintergründe und Aussichten im Milchmarkt sprach die LAND & Forst mit Heinz Korte, Landvolk-Vizepräsident und selbst Milchviehhalter im Landkreis Rotenburg.

Bei den Listungsgesprächen mit dem LEH sind die Preise für Milch und Butter weiter unter Druck geraten. Welche Auswirkungen hat das auf die norddeutschen Milchviehhalter?

Die Milcherzeuger sind sehr enttäuscht über die aktuellen Abschlüsse für Trink- und H-Milch. Es ist bereits der zweite Preisrückgang seit Herbst 2011. Die Verwertung der Frischprodukte liegt in der Vorzüglichkeit unter der für Käse und Industrieprodukte. Der Käsemarkt ist derzeit noch stabil, könnte aber ebenfalls in den Abwärtssog geraten. Unsere norddeutschen Molkereien sind stark in der Käseherstellung, so dass die Milchpreise noch nicht so unter Druck geraten wie bei den Unternehmen, die auf Frischprodukte spezialisiert sind.

Worin sehen Sie die Ursachen für den allgemein wieder unter Druck geratenen Milchmarkt und für die Preisschwäche bei den Frischprodukten im Besonderen?

In den vergangenen zwei Jahren führte allein die weltweit steigende Nachfrage nach Milchprodukten zu höheren Erzeugerpreisen. Sie hat auch eine höhere Erzeugung verursacht, allein in Deutschland um 2,4 Prozent im Jahr 2011. Was wir jetzt erleben, ist eine normale Reaktion des Marktes auf ein höheres Angebot bei einer weniger stark anziehenden Nachfrage. Im Frischebereich wäre es sicherlich sinnvoll, unter den Molkereien Kooperationen zu organisieren. Das wäre auch kartellrechtlich möglich.

Das Kartellamt hat in seiner Sektoruntersuchung Milch ein zu hohes Maß an Transparenz beklagt. Hat diese Transparenz den Preisrutsch begünstigt?

Der LEH hat ein breites Wissen über die Entwicklungen am Milchmarkt, das bezieht er nicht aus unseren landwirtschaftlichen Fachzeitschriften. Eine Einschränkung der Transparenz träfe die Milchbauern. Sie würden nicht mehr darüber informiert, wo ihre Molkerei im Vergleich mit anderen Unternehmen steht. Als ärgerlich empfinde ich es auch, wenn einzelne Gruppen zu Beginn der Listungsgespräche lautstark Meldungen über abstürzende Milchpreise verbreiten.

Wie sieht es mit der Transparenz der Preise im Handel aus? Wenn ein Discounter die Preise senkt, ziehen alle nach. Gibt es hier nicht auch Handlungsbedarf für die Kartellwächter?

Das Kartellamt hat angekündigt, die Preisgestaltung im LEH zu hinterfragen. Diese Absicht begrüßen wir als Berufsstand sehr.

Erlöse sind nur ein Parameter des wirtschaftlichen Erfolges. Wie sieht es auf der Kostenseite für die Betriebe aus?

Die weltweite Erholung an den Agrarmärkten hat auch steigende Preise für Futter- und Düngemittel sowie Diesel zur Folge gehabt. Hinzu kommen höhere Pachtpreise. Die AMI hat einen Kostenanstieg in der Milcherzeugung von 4,5 ct/kg gegenüber 2009 ermittelt. Gleichwohl stellen wir zwischen den Betrieben Unterschiede der Produktionskosten fest, die weit über diesem Wert liegen.

Sehen Sie Parallelen zu der Entwicklung auf den Märkten im Jahr 2008/09?

Damals hat die weltweite Wirtschaftskrise den Preisrutsch verursacht. Aktuell sehen wir keinen Einbruch der Nachfrage, sondern einen weiteren Anstieg. Die Lager der Molkereien sind geräumt, es bauen sich keine Bestände auf, es gibt kein Interesse an der öffentlichen Intervention. Vieles spricht dafür, dass sich mit einer Verringerung der Anlieferungsmenge der Markt im Herbst wieder drehen wird. Die Nachfrage nach Butter beispielsweise zieht bereits an.

Hat die damalige Preismisere die Abwanderungstendenz von Landwirten beschleunigt?
Wir beobachten seit Jahren eine Abnahmerate, die bei drei bis vier Prozent liegt, es gab allenfalls geringe und kurzzeitige Ausreißer von diesem Wert. Selbst im Krisenjahr 2009 haben niedersächsische Milchviehhalter ihre Erzeugung ausgedehnt, es gibt nach wie vor eine hohe Investitionsbereitschaft in diesem Betriebszweig. Sorge bereitet uns als Berufsstand natürlich der Verdrängungswettbewerb unter den Landwirten.

Der heimische Markt lässt mit Blick auf die demografischen Entwicklung kaum Steigerungen erwarten. Müssen sich die Milcherzeuger damit auf eine sinkende Nachfrage einrichten?

Bundesweit ist der Verbrauch an Frischprodukten seit Jahren rückläufig, bei Käse und Butter zieht die Nachfrage weiter an. Fast jedes zweite deutsche Milchprodukt wird bereits heute exportiert, natürlich kommen aber niederländischer Gouda und französischer Camembert auch auf unsere Tische. Unsere Molkereien müssen das Exportgeschäft weiter ausbauen. In diesem Marktsegment lässt sich ohne Exporterstattungen mehr verdienen als im hart umkämpften deutschen Lebensmitteleinzelhandel.

Kann die Politik auf liberalisierten Märkten noch Einfluss auf die Preise nehmen?
Die EU-Agrarpolitiker können und wollen keinen Einfluss mehr nehmen auf liberalisierten Märkten. Davon haben wir im vergangenen Jahr auch profitiert. Wir fordern aber mit der Intervention ein Sicherheitsnetz ein. Sie hat 2009 ein Absinken des Milchpreises unter 20 ct/kg verhindert. Die EU-Kommission hat die Bestände anschließend mit viel Geschick zu höheren Preisen ohne Marktstörungen wieder verkauft. Ich sehe auch nach dem Auslaufen der Quote keinen ausufernden Milchmarkt. Denn wir werden andere Formen der Mengenbegrenzung erleben. Sie ergeben sich aus den Folgen des Baurechtes, der Nährstoffverbringung, der 170-kg-N-Grenze, dem Wettbewerb um die Fläche, dem Fachkräftemangel und auch aus dem in Brüssel geplanten Greening.

Interview: Gabi von der Brelie