Regierungsbildung Nur zehn Tage dauerten die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Bündnisgrünen. Als der künftige Ministerpräsident Stephan Weil am Sonntag sein Kabinett vorstellte, waren viele Beobachter überrascht: Die Grünen als kleinerer Partner besetzen vier der neun Ministerposten, darunter neben dem Umweltressort auch das Landwirtschaftsministerium.
Mit dem Ergebnis der Koalitionsverhandlungen sei er inhaltlich und personell außerordentlich zufrieden, teilte der designierte Regierungschef Stephan Weil (SPD) der wartenden Presse mit, als er am vorigen Sonntag mit leichter Verspätung seine Personalliste und wesentliche Ziele der geplanten Regierungsarbeit vorstellte.
Für die meisten unerwartet hoch fiel die Zahl der Ministerien aus, die vom kleineren Koalitionspartner, den Bündnisgrünen, besetzt werden. Angesichts eines Anteils von 13,7 % Wählerstimmen wurde in Hannover damit gerechnet, dass die Grünen maximal drei Ministerposten erhalten würden. Die Verhandlungsführer der SPD schienen jedoch mehr Wert auf die für sie wichtigeren großen „Kernministerien“ Inneres und Wirtschaft zu legen. Außerdem hatte die SPD im Wahlkampf auf ihre Kompetenzen in den Bereichen Bildung und Soziales gesetzt.
Dagegen konnten sich die innerparteilichen Kräfte, die das Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz schon deshalb lieber in SPD-Obhut gesehen hätten, weil das Umweltministerium von vornherein als „grün“ gesetzt war, offenbar nicht durchsetzen.
Während die Nominierung des bisherigen Fraktionsvorsitzenden Stefan Wenzel vom Realo-Flügel der Partei als Umweltminister allgemein erwartet worden war, löste die Benennung von Christian Meyer durchaus Aufsehen aus. Der 37-jährige Sozialwirt aus Holzminden gilt als dem linken Flügel der Partei zugehörig und hatte sich im Wahlkampf immer wieder mit Forderungen nach einer radikalen Agrarwende hervorgetan. Dass er als Mitglied der Verhandlungskommission mindestens ebenso zufrieden mit dem Ergebnis war wie SPD-Mann Weil, teilte er seinen Anhängern per Kurzinfo über Twitter mit: „Die Agrarwende wird kommen und wir haben nicht nur inhaltlich sehr gut abgeschlossen.“
Die Agrarpolitik gehörte dem Vernehmen nach neben dem Autobahnbau aber zu den Themen, an denen sich die Koalitionsverhandlungen etwas in die Länge zogen. Am Ende einigte man sich darauf, die „Agrarwende“ in Niedersachsen einzuläuten. „Künftig sollen bäuerliche Familienbetriebe gestärkt werden, unter anderem durch geänderte Kriterien für die Vergabe von EU-Fördermitteln“, erklärten beide Parteien. Geplant ist, finanzielle Anreize für mehr Umwelt-, Tier- und Gewässerschutz zu schaffen. „Massentierhaltung“ soll künftig eingeschränkt werden; Kommunen werden bei der Planung von Großställen mehr Befugnisse erhalten. Bestehende Ställe erhalten allerdings Bestandsschutz.
Am 19. Februar tritt der neue Landtag zum ersten Mal zusammen. Es wird erwartet, dass er trotz der knappen Mehrheit von nur einer Stimme den Ministerpräsidenten Stephan Weil wählen wird. Danach könnten die Minister vereidigt werden, die Landesregierung wäre arbeitsfähig.
Die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen werden in der Landwirtschaft je nach Interessenlage unterschiedlich bewertet. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) hat Christian Meyer bereits „eine konstruktive Zusammenarbeit bei seiner Politik für Bauernhöfe statt Agrarfabriken“. AbL-Landesvorsitzender Martin Schulz verwies auf gute Erfahrungen in der bisherigen Zusammenarbeit mit den niedersächsischen Grünen und fügte eine Reihe politischer Forderungen an die neue Landesregierung an, darunter die Weiterentwicklung des Tierschutzplanes und eine verschärfung des Baurechts.
Beim Niedersächsischen Landvolkverband will man im Sinne einer sachlichen und konstruktiven Zusammenarbeit zunächst den Koalitionsvertrag auswerten, der die Arbeitsgrundlage für die künftige rotgrüne Landesregierung bildet, und das persönliche Gespräch mit den neuen Ministern suchen, bevor man sich öffentlich zu den neuen Entwicklungen äußert.
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Designierter Minister: Beiderseitig Vorurteile abbauen
Interview Mit „viel Dialog und gegenseitigem Zuhören“ will der designierte Agrarminister, Christian Meyer (Bündnis 90/Die Grünen), Vorurteile zwischen grüner Politik und Landwirtschaft abbauen. „Wir haben gemeinsam das Ziel, mehr Wertschätzung für Lebensmittel zu erreichen und mehr Lebensqualität in die ländlichen Räumen zu bringen. Dafür müssen wir unsere Gemeinsamkeiten stärker betonen“, sagte der bisherige agrarpolitische Sprecher der Landtags-Grünen in einem ersten Interview mit unserem Onlineportal agrarheute.com.
Meyer kündigte an, als neuer Landwirtschaftsminister im Kabinett von Stephan Weil (SPD) den mit dem Niedersächsischen Tierschutzplan eingeschlagenen Weg fortsetzen zu wollen. Er sei der richtige Ansatz, verfolge die richtigen Ziele. Jedoch wolle die neue Landesregierung stärkere Anreize zur Beschleunigung, etwa in der Forschung, setzen.
Befragt nach dem von ihm im Wahlkampf vertretenen Leitbild einer „ökologisch-bäuerlichen Qualitätslandwirtschaft“ sagte Meyer: „Sie ist das, was die überwiegende Mehrheit der Familienbetriebe in Niedersachsen bereits praktiziert, die Umwelt und Gewässer achten und sorgfältig mit den Tieren umgehen.“ Qualität solle durch bessere Kennzeichnung für die Verbraucher sichtbarer gemacht und besser bezahlt werden. Das Leitbild bedeute nicht, dass alle Betriebe auf Ökolandbau umstellen müssten, obwohl sich Förderung künftig stärker auf den Ökolandbau konzentrieren werde.
„Lebensmittel müssen so produziert, dass der Verbraucher zufrieden ist, dass muss sich aber auch im Preis für den Landwirt wiederspiegeln“, begegnete Meyer Befürchtungen, die Ausrichtung seines Ressorts zu sehr auf den Verbraucherschutz zu legen. Die Frage, ob Familienbetriebe mit Hähnchenmast oder konventioneller Schweinehaltung denn in dieses Leitbild passten, beantwortete der Grünen-Politiker mit ja, wies aber zugleich auf Veränderungsbedarf hin. Dafür bedürfe es jedoch Änderungen auf politischer Ebene, die Europäische Union eingeschlossen. Auch dürften solche Veränderungen nur in kleinen Schritten erfolgen, damit alle Landwirte mithalten könnten.
Meyer kündigte außerdem an, sich weiter „stark für Subventionen“ einzusetzen. Damit soll die Förderung von Agrarumweltmaßnahmen zulasten von „Mitnahmesubventionen“ ohne konkreten Gegenwert ausgeweitet werden. Kleinere Betriebe sollen zudem andere Auflagen erfüllen müssen als Großbetriebe. Meyer will insbesondere bäuerliche Strukturen stärken und verhindern, dass die Gelder an Großbetriebe fließen, die keine Arbeitsplätze schaffen. „Wir wollen eine starke zweite Säule für die ländlichen Räume.“
(Das Telefoninterview im Wortlaut können Sie auf dieser Internetseite hören: www.agrarheute.com/podcasts-detail?mediaId=565496) ste