Schlüsselszene mit Wutbürger

Schlüsselszene mit Wutbürger -

Diskussion Ist die Tierproduktion noch zu verantworten? Das wurde in der Reihe „Osnabrücker Friedensgespräche“ erörtert. Im völlig überfüllten Raum stand dabei ständig die Frage, ob diese Art der Diskussion noch zu verantworten ist.

Fast wirkte es wie im Hollywood-Film, wo in einer Schlüsselszene die Kernbotschaft immer ganz platt erzählt wird, damit auch der Letzte begreift, worum es geht. Bei diesen „Osnabrücker Friedensgesprächen“ begann die Schlüsselszene mit der ersten Publikumsfrage. Ein grauhaariger Mann schimpfte ins Mikrofon, hier sei anderthalb Stunden lang nur um den heißen Brei herumgeredet worden; er wisse jedoch genau, wie schrecklich alles sei: In den Ställen habe sich in 30 Jahren nichts verändert, die Landwirtschaft verschandele die Landschaft, vergifte das Wasser, und zu allem Übel seien die Lebensmittel so schlecht wie noch nie. An dieser Stelle platzte jungen Zuhörern der Kragen. Ihre „Aufhören!“-Rufe quittierte der ältere Wutbürger höhnisch: Wie man sehe, sei schon die Jugend völlig verblendet und ignorant.

Nach dem Applaus eines kleineren Teils der Gäste ließ Bernhard Krüsken ein paar Sekunden verstreichen, um dann mit ruhiger, fast schon beruhigender Stimme zu sagen: „Sehen Sie, genau das ist es, was ich eingangs meinte: Solange wir nicht aufhören zu beschimpfen und zu polarisieren, solange wir nicht endlich anfangen, die Fragen der Tierhaltung differenziert und sachlich zu behandeln, werden wir nicht weiterkommen.“ Dem Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes applaudierte der größere Teil des Publikums.

Differenziert betrachten
Dann rückte die Moderatorin den nächsten Akteur ins Bild und fragte Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne), ob er die düsteren Ansichten des erregten Herren teile. Nein, antwortete der Minister, in allen Punkten könne er nicht zustimmen, aber die Wortmeldung zeige doch, dass die heutige Nutztierhaltung gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert sei.

Besser hätte Hollywood nicht auf den Punkt bringen können, worin das Hauptproblem in der Debatte um die Tierhaltung besteht: Eine differenzierte Betrachtung ist nach wie vor die Ausnahme, unliebsame Fakten werden ausgeblendet oder gar verfälscht, und die Politik beruft sich auf fehlende gesellschaftliche Akzeptanz, selbst wenn als Kronzeugen nur bizarre Vertreter einer Minderheit auftreten.  

Dabei verlief die Podiumsdiskussion in der Aula der Osnabrücker Universität bis dahin sachlich, wenngleich sie voller Konfrontation steckte. Die begann mit der Wahl des Titels, bei dem die Veranstalter nicht auf das Wort „Massentierhaltung“ verzichten wollten. So gaben sie schon in der Ankündigung ihre neutrale Haltung auf, die bei den übrigen Veranstaltungen in dieser anspruchsvollen Reihe streng gewahrt wird. Für zusätzliche Erschwernis sorgte die Moderatorin, die Biologin Prof. Susanne Menzel, als sie eingangs die Frage stellte, ob man Tiere denn überhaupt essen dürfe, und damit von dem sehr praktischen Thema eher wegführte.

Fast schon erstaunlich war es daher, als der Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, Dr. Heinrich Bottermann, die Entwicklung der Landwirtschaft in den vergangenen 30 Jahren würdigte. „Vieles brachte sensationelle Fortschritte, einiges war aber dramatisch schlecht“, schränkte der langjährige Tierarzt gleich wieder ein, um auf kurative Eingriffe zu sprechen zu kommen: „Amputationen sind nicht akzeptabel und eine negative Folge des Leistungszuwachses.“ Bottermann forderte von staatlichen und halbstaatlichen Einrichtungen, beim Einkauf nachhaltig erzeugter Lebensmittel mit gutem Beispiel voranzugehen und dafür auch mehr Geld auszugeben. „Ob dies aber mit Tagessätzen von 4,50 Euro für die Verpflegung eines Erwachsenen in einem Altenheim möglich ist, bezweifele ich“, sagte er.

Mehr Geld ausgeben
Seinen gedanklichen Ansatz, mehr „Agrarsubventionen“ in die Förderung der Tierhaltung umzulenken, griff Minister Meyer auf. Er freue sich, dass „so viele Bauern bei der Tierwohlinitiative mitmachen“, sagte er. Wenn das Geld nicht für alle reiche, sei das Sache des Staates – wobei er nicht das Land Niedersachsen meinte, sondern den Bund. „Eine neue Tierwohlabgabe ist dafür aber nicht nötig. Es reicht, mehr Mittel aus der ersten Säule umzuverteilen“, so der Minister.
Krüsken intervenierte immer wieder, auch beim Thema kurative Eingriffe. „Das klingt bei Ihnen, als wäre alles ganz einfach, und wir müssten es nur tun“, sagte der DBV-Generalsekretär und verwies auf seit Jahrzehnten immer wieder neu aufgelegte Versuche sowie darauf, dass selbst die „seit fünf Jahren verschärfte Forschung“ keine brauchbaren Lösungen erbrachte.

Wenn es das Ziel der Veranstaltung war, für mehr Sachlichkeit zu sorgen, dann ist das ein klein wenig gelungen. Es wäre aber deutlich mehr möglich gewesen. Ralf Stephan