Hilfsangebot Die Landwirtschaftlichen Sorgentelefone werden 25 Jahre alt. LAND & Forst sprach mit Ludger Rolfes, Geschäftsführer der Ländlichen Familienberatung und des Sorgentelefons Oesede.
Herr Rolfes, haben sich die Sorgen auf dem Land in 25 Jahren Sorgentelefon verändert?
Die Veränderungen der Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft verschärfen die Konfliktsituation der Bauern und Bäuerinnen. Denn wirtschaftlich und politisch haben sie es mit immer mehr Auflagen und Kontrollen zu tun. Gesellschaftlich stehen landwirtschaftliche Familien immer mehr am Pranger: als Tierwohl-Gefährder, Umweltverschmutzer und Subventionsschlucker.
Das wirkt sich familiär auch atmosphärisch aus: statt stolz zu sein auf das was man leistet, hat man eher das Gefühl: „Entschuldigung! Ich bin Landwirt!“
Die Probleme auf den Höfen sind vielfältiger geworden. Wenn Bauern oder Bäuerinnen sich bei uns melden, haben sie oft vier bis sechs Themen.
Zum Beispiel hat Bauer A. den wirtschaftlichen Druck, investieren zu müssen, was die finanzielle Lage nicht hergibt. Daraus folgen verschiedene Ängste: Erstens, sich finanziell zu ruinieren, weil „die Preise nicht stimmen“. Zweitens die Angst vor der Zukunft: werden wir und/oder die kommende Generation noch vom Hof leben können – bei ständig neuen Anforderungen und Auflagen von Politik und Gesellschaft?
Andauernder Druck und Ungewissheit, in Kombination mit geringem Gewinn, verleiten dazu, noch mehr zu arbeiten und die Anstrengung zu verdoppeln. Das kann krank machen, führt zu Unzufriedenheit und Stress – bis zum „Burn-out“. In der Konsequenz gibt es dann immer mehr Streit untereinander.
Daraus resultieren nicht selten psychische Probleme, die nicht mehr so tabuisiert sind wie vor 25 Jahren! Unverändert geblieben ist seit je her das grundsätzliche Problem, dass oft nicht offen und ehrlich kommuniziert und konstruktiv miteinander gestritten wird.
Wo tanken Sie Kraft für dieses anspruchsvolle Ehrenamt?
Ich beziehe die Frage mal auf die Berater und Beraterinnen, denn die arbeiten ehrenamtlich auf höchstem Niveau. Sie leisten sehr anspruchsvolle und emotionale Schwerstarbeit! Sie arbeiten mit den Familien auf den Höfen oder mit den Ratsuchenden am Telefon so erfolgreich, weil diese ja schon die Bereitschaft mitbringen, etwas zu verändern und ein Problem lösen zu wollen – der Veränderungsdruck ist hoch!
Wenn die Beraterin am Ende eines rund 45-minütigen Telefongesprächs spürt, dass die oder der Ratsuchende wieder ins Handeln kommt oder eine bestimmte Situationen neu wahrnimmt und eine Lösung für eine Problematik für sich neu entdeckt, dann stellt sich ein sehr gutes Gefühl ein, dass man etwas sehr Sinnvolles getan hat.
Wie lassen sich Konflikte auf dem Hof vermeiden?
Miteinander reden! Und zwar über wortwörtlich alles: Sowohl über das, was gut läuft, worüber man sich freut und was einen erfüllt, als auch über die Probleme und Sorgen, über Missverständnisse und Stress, den man miteinander hat. Auf keinen Fall sollte man Probleme tabuisieren und den Ärger in sich hineinfressen. Und: Niemand sollte neben der Arbeit das Miteinanderleben und positive Freizeitaktivitäten vergessen!
Die Fragen stellte
Gabi von der Brelie
Am 29. Juni ab 19.30 Uhr ist Ludger Rolfes bei „Hallo Niedersachsen op Platt“ im NDR zu Gast und stellt dort die Arbeit der Sorgentelefone vor.
Wenn die Angst überwiegt
Oesede Landwirte schätzen an ihrem Beruf die Nähe zur Familie. Diese birgt aber auch Konfliktpotenzial. Seit 25 Jahren helfen die Landwirtschaftlichen Sorgentelefone in Niedersachsen, wenn sich auf den Höfen Sprachlosigkeit breit macht. Am 25. Juni steht in Oesede ein Festakt zu diesem Jubiläum an.
Bauern und Bäuerinnen beraten Bauern und Bäuerinnen – nach diesem Motto arbeiten die landwirtschaftlichen Sorgentelefone seit 25 Jahren. In Niedersachsen geben sie an drei Standorten bäuerlichen Familien die Gelegenheit, sich die Sorgen von der Seele zu reden. Verständige und einfühlsame Zuhörer bieten Menschen im Schutz der Anonymität die Gelegenheit, über ihre persönlichen Ängste, familiären Konflikte und Sorgen offen zu sprechen. Bundesweit gibt es 28 Einrichtungen.
Um die 200 Anrufe gehen jedes Jahr in Niedersachsen ein. Es geht in erster Linie um Gefühle, Emotionen und auch Ängste. Ganz obenan stehen familiäre Auseinandersetzungen um die Hofnachfolge, denn: „Der Betrieb sitzt immer mit am Tisch“, stellen die Berater fest. Mangelnde Wertschätzung und eine zunehmende Sprachlosigkeit treiben dann rasch einen Keil in die Familie. Am Sorgentelefon öffnen sich einzelne Familienmitglieder, die diesen Druck nicht mehr aushalten.
Mehr als 30 ehrenamtliche Beraterinnen und Berater hören an den Landwirtschaftlichen Sorgentelefonen in Oesede, Rastede und Barendorf zu. Sie absolvieren eine Ausbildung und verpflichten sich zu stetigen Fortbildungen. Finanziert werden diese über Spenden und eine Gebühr, die für die persönlichen Gespräche der Familienberatung erhoben wird. Die Sorgentelefone werden zudem vom Land Niedersachsen und dem Bistum Osnabrück gefördert. Die landesweite Koordination leistet die Agrarsoziale Gesellschaft Göttingen. Die LAND & Forst veröffentlicht die Rufnummern der Sorgentelefone regelmäßig auf den Terminseiten.
40 bis 50 Familien nehmen im nächsten Schritt in jedem Jahr die Familienberatung in Anspruch, die drei Jahre nach den Sorgentelefonen etabliert wurde. „750 Familien haben sich im Laufe der Jahre für unsere Beratung entschieden“, zieht Ludger Rolfes aus Oesede Bilanz. Er stellt fest, dass psychische Probleme nicht mehr als Tabuthema gelten, registriert aber zugleich eine erhebliche Zukunftsangst bei bäuerlichen Familien.
Gabi von der Brelie