Über Anreize zu mehr Qualität

Über Anreize zu mehr Qualität - Foto: Hasemann
Foto: Hasemann

Agrarwende Seit dem 19. Februar ist der 38-jährige Grünen-Politiker Christian Meyer niedersächsischer Landwirtschaftsminister.  Sein Programm fasste er mit dem Schlagwort „sanfte Agrarwende“ zusammen. LAND & Forst fragte ihn, was darunter zu verstehen ist und erfuhr, welche agrarpolitischen Ziele er verfolgt.

Knapp drei Monate nach Amtsantritt: Was hat Sie als Minister am meisten positiv überrascht?
Positiv hervorzuheben sind sicher vor allem die Offenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium und in den nachgeordneten Behörden sowie die sehr hohe Kompetenz, mit der die kurz aufeinander folgenden drei Verbraucherschutzskandale – Pferdefleisch, Aflaxtoxin und Mogel-Eier – bewältigt wurden.

Sie sprechen von der sanften Agrarwende, die Sie anstreben. Was ist darunter zu verstehen?
Hier geht es vor allem darum, die Landwirtschaft über Überzeugungen und Anreize weiterzuentwickeln in eine verbraucher- und umweltgerechtere Richtung, die dann auch eine höhere Akzeptanz in der Gesellschaft findet. Das meint auch, dass sich für die große, überwiegende Zahl der Landwirte nicht sehr viel ändert. Deshalb haben wir gesagt, dass wir die rund 40.000 bäuerlichen Familienbetriebe in den Mittelpunkt unserer Politik stellen.

Ändern muss sich etwas bei den wenigen Formen der Tierhaltung, die sich in Dimensionen bewegt, für die sich in der Gesellschaft kaum noch Akzeptanz findet und die Umweltprobleme verursachen, z.B.  Hunderttausende von Hühnern auf engsten Raum oder Anlagen mit zehntausenden Schweinen. Insgesamt aber soll es sowohl im konventionellen als auch ökologischen Bereich in Richtung mehr Qualität und Nachhaltigkeit gehen.

Was genau verstehen Sie darunter, die Qualität zu steigern?
Das heißt vor allem, dass gute Produkte einen höheren, einen faireren Preis erzielen. Lebensmittel müssen mehr wert sein. Denn wenn sie zum Beispiel mehr Tierschutz anbieten, müssen die höheren Kosten auch honoriert werden. Damit der Verbraucher das an der Ladentheke erkennen kann, muss man sich für Kennzeichnungen, Siegel und Marketing einsetzen. Oder staatliche Anreize für mehr Nachhaltigkeit setzen. Wenn beispielsweise ein Landwirt einen Blühstreifen anlegt, dann hat er zunächst nichts davon, aber die Gesellschaft. Das ist für mich Ausdruck einer Qualitätslandwirtschaft, die auch die gesellschaftlichen Leistungen, die sie erbringt, stärker in den Mittelpunkt rückt anstatt nur auf Masse und auf möglichst billig zu produzieren.

Mit dem Ziel, Qualität besser zu bezahlen, rennen Sie bei vielen Landwirten offene Türen ein. Deren Erfahrungen mit Qualitätsprogrammen in der Vergangenheit waren leider häufig negativ. Woher nehmen Sie denn die Überzeugung, dass es dieses Mal funktionieren wird?
Ich kann die Bedenken verstehen, deshalb sagen wir ja auch nicht, steigt jetzt gleich alle auf Bio um – das würde der Markt schließlich gar nicht hergeben. Aber Aufgabe der Politik ist es nun einmal, dafür zu sorgen, dass der Verbraucher beziehungsweise der Wähler das bekommt, was er in Umfragen immer angibt, haben zu wollen. Dafür ist ehrliche Kennzeichnung sehr wichtig, und wir haben im Moment eben keine richtige Kennzeichnung. Solange man auf einer Eierpackung ein Huhn auf einer Wiese abbilden darf, obwohl keine der Legehennen jemals auf einer Wiese war, hat der Landwirt, der seine Hühner tatsächlich auf der Wiese hält, ganz klar einen Wettbewerbsnachteil. Gerade das Beispiel Eierkennzeichnung zeigt doch, dass es geht: Schreibt man „Käfigei“ drauf, lässt der Verbraucher es liegen. Mogelt man ihm dasselbe Ei in Kuchen oder in der Mayonaise unter, dann kauft er es, weil er es nicht erkennen kann. Das geschieht in der Regel zum Nachteil niedersächsischer Landwirte, weil die meisten Käfigeier aus dem Ausland kommen.

Wann ist Tierhaltung bäuerlich, und wo beginnt industrielle Haltung?
Natürlich ist Tierschutz nicht nur eine Frage der Bestandsgröße. Die Zahlen, die wir als einen Anhaltspunkt immer genannt haben, sind die selben, die die Bundesregierung jetzt in die Novelle des Baugesetzbuches als Kriterium dafür aufgenommen hat, bis zu welcher Grenze bäuerliche Anlagen privilegiert bleiben und industrielle Anlagen entprivilegiert werden. Das sind die  Eintrittsschwellen des Bundesimmissionsschutzgesetz. Diese Zahlen bilden die Grenze für die Privilegierung, und für größere Einheiten wird es in Niedersachsen auch keine Förderung mehr aus dem Agrarinvestitionsprogramm geben.

Das Baugesetzbuch wurde geändert, obwohl man mit 30.000 Masthähnchen oder 1.500 Mastschweinen keine Familie ernähren kann. Wie sollen wachstumswillige Betriebe also neue Standbeine aufbauen?
Ich glaube, dass es ohnehin ein Fehler ist, ausschließlich auf hohe Tierzahlen zu setzen, weil man dann zu stark von Preisschwankungen abhängig ist. Deshalb ist Diversifizierung immer gut. So stützen die zuverlässigen Zahlungen aus dem EEG für Windenergie, Biogas und Solarenergie viele landwirtschaftliche Betriebe in schlechten Zeiten. Bäuerliche Strukturen wollen wir stärken,  indem wir sagen: große Betriebe – große Auflagen, kleine Betriebe – kleine Auflagen. Mit dem Filtererlass, der für die großen Schweinehalter ab 2.000 Mastschweinen gilt, stärken wir die Wettbewerbssituation für die kleineren Betriebe, weil sie im Vergleich Kosten sparen. Das gilt natürlich auch für die Mehrkosten beim Stallneubau, weil man sich etwa die Ausgaben für Keimgutachten sparen kann. Das meinen wir, wenn sagen, wir rücken die 40.000 Familienbetriebe in den Mittelpunkt, denn vom Filtererlass sind unter fünf Prozent der Schweinehalter in Niedersachsen betroffen. Bisher hat die Politik eher die Großen gefördert – ein großer Schlachthof zum Beispiel bekommt einen Nachlass bei der Stromsteuer, ein kleiner dagegen, der viel weniger Energie verbraucht und kürzere Wege hat, muss den vollen Preis bezahlen.

Reichen Ihnen die BImSch-Zahlen als Grenzen, an denen Sie künftig bäuerliche Landwirtschaft messen wollen?

Für uns sind das die maßgebenden Zahlen, die auch von den Umweltverbänden und der SPD geteilt werden. Wir sind jetzt froh, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung die selbe Grenze bei den gewerblichen Tierhaltungsanlagen zieht. Aus meiner Sicht ist die Neuregelung noch nicht ganz ausreichend, weil sie das Schlupfloch über Paragraf 35 (1) lässt. Die Frage der Bodengebundenheit müssten wir beim Paragrafen 201 Baugesetzbuch ebenfalls wieder neu regeln. Flächenlose Ställe mit 100 Prozent Importfutter von außen und weiten Gülletransporten sind für mich jedenfalls keine bäuerliche Kreislaufwirtschaft. Es wäre gerade in Niedersachsen sehr wichtig, wenn der Flächenbezug nicht nur abstrakt-theoretisch vorhanden ist, sondern konkret existiert, um in den eher vieh­armen Regionen Wachstum zu haben und nicht in den ohnehin tierreichen.
In Zukunft wollen wir beim Agrarinvestitionsprogramm auch keine Großställe in Bereichen über zwei Großvieheinheiten pro Hektar mehr fördern. Es werden in der nächsten Förderperiode nur noch Ställe gefördert, die eine Mehrleistung für den Tier- oder Umweltschutz darstellen und bäuerlich strukturiert sind. In der aktuellen Förderperiode werden wir bis auf die Erhöhung beim Ökolandbau kein einziges Programm verändern.

Welche Rolle messen Sie dem Exportgeschäft bei?
Das Hauptabsatzgebiet wird immer der europäische Binnenmarkt bleiben. Auch der wird sich – wie andere Märkte auch – eher in Richtung Qualität entwickeln müssen. Im Milchbereich führen wir schon jetzt eher die hochveredelten Produkte aus. Bei Fleischerzeugnissen oder Ökoprodukten wird es nicht anders werden. In der Exportstrategie auf billig zu setzen, werden wir langfristig keinen Erfolg haben. Mit Brasilien werden wir mit billigem Hähnchenfleisch ohne massive Subventionen nie konkurrieren können, weil dort noch niedrige Löhne und noch schlechtere Tierschutzstandards herrschen und das Soja vor der Haustür wächst.

Sie sprachen kürzlich über ein mögliches Weidemilchprogramm. Wie ist der Stand?
Wir sind derzeit im Gespräch mit Molkereien, verschiedenen Verbänden und Milchbauern, wie man dazu kommen kann, dass Milchviehhalter, die Weidehaltung betreiben, einen besseren Preis für ihre Milch erzielen können.  Das wollen wir durch eine faire Weidemilchkennzeichnung unterstützen. Sehr spannend ist ja, dass die Ammerländer Molkerei, die ein solches Programm schon hat, die meiste Milch in Holland absetzt, weil dort die Nachfrage nach nachhaltig erzeugten Produkten höher ist als hier. Wir möchten Weidehaltung auch deshalb fördern, weil wir befürchten, dass sonst nach dem Wegfall der Quote vor allem die großen Bestände mit 1.000 und mehr Kühen Chancen haben. Als grüner Agrarminister möchte ich das Grünland stärken und Weidehaltung dort attraktiver machen. Wir wissen, dass für die Landwirte Weidehaltung viel mehr Arbeit bedeutet. Deshalb muss es auch einen Ausgleich dafür geben, wenn die Gesellschaft Kühe auf der Weide sehen und artenreiches Grünland haben will. Ob sich diese Ausgleich über ein Weidemilchprogramm erzielen lässt oder ob es eine staatliche Weideprämie geben wird, darüber sind wir in intensiven Gesprächen. Auch mit Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen, mit denen man vielleicht gemeinsam etwas für bessere Preise und Regionalvermarktung tun kann.

Themenwechsel zum Tierschutzplan: Wie geht es damit weiter?
Der Tierschutzplan war ein guter Ansatz, weshalb wir ihn im Dialog und im Konsens mit allen Beteiligen fortsetzen wollen. Neu ist, dass wir in jeder Arbeitsgruppe auch einen Praktiker haben wollen, der anders produziert, also beispielsweise als Bioland- oder Neuland-Erzeuger auf das Schwänzekupieren verzichtet. Wir wollen insgesamt einen stärkeren Dialog mit der Gesellschaft , mehr Transparenz und werden den Etat auch ein wenig aufstocken. Außerdem planen wir eine Fachreise nach Österreich, wo es seit 2005 eine Branchenvereinbarung gibt, bei Legehennen in der Boden- und Freilandhaltung generell auf das Schnäbelkürzen zu verzichten. Was dort geht, sollten wir in Niedersachsen auch versuchen.

Bleibt es bei dem Zeitplan?
Wo es im Konsens schneller geht, setzen wir natürlich schneller um. Die meisten Ziele liegen ohnehin in dieser Legislaturperiode. Ich habe schon den Ehrgeiz, dass Niedersachsen beim Tierschutz auch mal Erster ist und nicht immer als Letzter Tierschutzregelungen umsetzt. Parallel denken wir darüber nach, wie wir beispielsweise über das AFP zusätzliche Anreize schaffen können, Nutztiere artgerechter zu halten. Tierschutz braucht mehr Akzeptanz und Förderung. Ich spüre auch bei vielen Landwirten Aufgeschlossenheit für Veränderungen. Das ist ähnlich wie bei der Energiewende: Die Solaranlagen haben sie sich ja auch nicht aufs Dach gepackt, weil sie alle Grün-Wähler geworden sind, sondern weil man damit Geld verdienen kann. So kann auch die Agrarwende funktionieren: Wenn die Anreize in die richtige Richtung gehen, gibt es bei den Landwirten eine große Bereitschaft mitzumachen.

Stichwort Energiewende: Welchen Rat geben Sie Biogasanlagenbetreibern?
Zunächst einmal können sie davon ausgehen, dass bestehende Anlagen Bestandsschutz haben. Was die Bundesregierung kürzlich versucht hat, rückwirkend in die Vergütung einzugreifen, war natürlich fatal, weil es eine ganze Branche verunsichert. Wenn es also Änderungen gibt, die wir Niedersachsen auch wollen, dann geht es vor allem um Neuanlagen. Die Überförderung von Mais wollen wir nicht. Es war falsch, den Nawaro-Bonus immer weiter wachsen zu lassen und dabei die negativen Seiten völlig zu vernachlässigen: den Flächenverbrauch, die Nitratbelastung, den Rückgang biologischer Vielfalt, die steigenden Pachtpreise. Am Anfang ging es eigentlich darum, Reststoffe zu verwerten – in diese Richtung muss auch die Vergütung laufen und nicht dahin, noch mehr Flächen zu verbrauchen. Das wollen wir über eine Bundesratsinitiative ändern.

Ihre Amtszeit begann mit drei Lebensmittel-Aufregern. Sie haben strengere Kontrollen gegen Gebühren gefordert. Meinen Sie, dass es der richtige Weg ist? Beim Aflatoxin haben nicht nur aus meiner Sicht, sondern auch nach Einschätzung von Frau Aigner die Eigenkontrollen nicht funktioniert. Die Opfer der Futtermittelindustrie waren wieder einmal unschuldige Landwirte, die sauberes Futter bestellt haben, aber nicht bekamen. Deshalb haben wir als eine unserer ersten Handlungen im Bundesrat, einen Haftungsfonds für solche Fälle fordern, bei dem Landwirte für Verluste zu entschädigen sind, auch wenn sie durch die zeitweilige Verunsicherung bis zur Aufklärung entstanden sind – die EU hat das seinerzeit mit spanischen Gurkenbauern während der Ehec-Krise so ja schon einmal praktiziert. So einen Fonds muss es für – vermeintliche oder tatsächliche – Skandale als Absicherung geben, und da muss die Industrie einbezahlen. Natürlich wird dieser Beitrag teilweise auf den Preis umgelegt, aber dieser Fonds schafft am Ende mehr Sicherheit für alle Landwirte, weil sie dann nicht unverschuldet in der Existenz bedroht sind.

In Brüssel läuft die abschließende GAP-Runde. Was ist das Beste, das für Niedersachsen herauskommen kann?
Wichtig wäre vor allem, dass wir mehr Geld bekommen und nicht weniger. Rund ein Dutzend Staaten hat Zuschläge in der Zweiten Säule für sich herausgeholt, und obwohl der EU-Haushalt insgesamt steigt, steht in der Ersten und Zweiten Säule zusammengenommen zum ersten Mal eine Kürzung bevor. Durch die vielen Ausnahmen für andere Mitgliedsstaaten droht Niedersachsen eine besonders starke Kürzung, noch stärker in der Förderung des ländlichen Raumes als bei den Direktzahlungen. So können wir die Herausforderungen aber nicht bewältigen. Das Prinzip „Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“ finde ich grundsätzlich richtig, Subventionen müssen langfristig nicht an Hektar gekoppelt sein, sondern an gesellschaftlichen Leistungen, die der Markt nicht honoriert. Deshalb unterstützen wir das Greening. Noch spannender finde ich, die bäuerliche Landwirtschaft zu stärken, indem wir die ersten Hektare besser vergüten. Darauf haben wir uns gerade mit den anderen Bundesländern verständigt. Dieser Zuschlag – die Höhe diskutieren wir gerade – würde sich vor allem bei den kleineren und mittleren Betrieben bemerkbar machen, zumal das Geld dafür den Großen reduziert würde. Das hieße mittelständische, bäuerliche Strukturen bekämen pro Hektar im Durchschnitt mehr als Großbetriebe. Wirtschaftsförderung muss sich immer am Mittelstand orientieren und nicht an den Großen. Damit könnten wir den Strukturwandel zwar nicht aufhalten, aber doch ein wenig abbremsen.

Woran werden Sie den Erfolg der Ökoförderung messen?
Meine Sorge ist, dass wir einen weiteren Rückgang der ökologisch bewirtschaften Fläche zu verzeichnen haben, da gerade Ökolandwirte nicht mit den steigenden Pachtpreisen mithalten können. Obwohl die Zahl der Betriebe  und damit der Umstiegswilligen steigt, gab es im vorigen Jahr erstmals einen Rückgang in der Gesamtfläche und noch stärker pro Betrieb. Bislang war Niedersachsen mit 137 Euro bundesweites Schlusslicht bei der Förderung des Ökologischen Landbaus bei Acker- und Grünland. Deshalb haben wir in Abstimmung mit den Verbänden bei der Beibehaltungsprämie angesetzt und diese auf 200 Euro erhöht. Mein Ziel ist es, im Sinne steigender Verbrauchernachfrage, das wir wieder eine Steigerung des Anteils ökologischer Flächen erreichen. Jetzt liegen wir bei rund 2,8 Prozent und sind bundesweit Letzter.

Wie viel Prozent wollen Sie?
Wir wollen uns nicht auf eine konkrete Flächenzahl festlegen. Klar ist, wir wollen mehr. Klar ist aber auch, es wird auch nach fünf Jahren Rot-Grün immer noch deutlich mehr konventionelle Betriebe geben als Ökobetriebe, soviel Realist bin ich dann auch.

Es fragten Sabine Hildebrandt
und Ralf Stephan

Eine ausführliche Fassung des Interviews lesen Sie im Internet unter www.landundforst.de.