Wir säen, pflegen und wollen ernten

Wir säen
Foto: Christian Mühlhausen

Erntedank Selten erschien es in den bäuerlichen Familien schwieriger, für die Erntegaben eines Jahres dankbar zu sein. Was gibt es am Erntedanktag zu feiern, was zu bedenken? Wir fragten Landvolk-Präsident Werner Hilse.

Am 2. Oktober feiern wir Erntedank. Ist es eher ein Tag für Landwirte oder einer für die Verbraucher?
Es steht uns allen gut zu Gesicht, in guten, wie auch gerade in schwierigen Zeiten, gelegentlich inne zu halten und Dank zu sagen. Es ist heute für uns alle sehr selbstverständlich, dass wir jederzeit alles kaufen können, nicht nur Lebensmittel. Wir leben in sicheren Verhältnissen und sind gut versorgt. Noch die Generation unserer Eltern hat in ihrer Kindheit anderes erleben müssen. Deshalb ist Erntedank eine Geste, die uns allen gemeinsam ansteht.

Welche Gedanken bewegen niedersächsische Bäuerinnen und Bauern an diesem Erntedanktag?
In gesellschaftlichen Diskussionen oder politischen Debatten werden viele Erwartungen, ja Forderungen an die Landwirte herangetragen, zunehmend kompromissloser. Es wird mehr Tierwohl, noch mehr Rücksicht auf Natur und Umwelt gefordert. Manches davon mag berechtigt sein, aber Bäuerinnen und Bauern fragen sich inzwischen auch: „Wo bleiben wir?“. Das alles muss leistbar sein und mit den berechtigten Ansprüchen derjenigen vereinbar sein, die in und von der Landwirtschaft leben, eben der bäuerlichen Familien.

An welche Beispiele denken Sie konkret?
Aktuell beispielsweise fordern viele Politiker und Verbände strengere Vorschriften für den Düngereinsatz. Wir Landwirte haben ein fundamentales Interesse an unbedenklichem Grundwasser und vitalen Böden. Wir fühlen uns schon gekränkt, wenn man uns, oft aus Unverstand, Vorhaltungen macht und diffamiert. Bürokratische Überregulierung und Vorschriften sowie finanzielle Überforderungen führen zu großem Frust. Auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hat die moderne Landwirtschaft ganz offensichtlich zu ihrem persönlichen Feindbild erkoren. Ihre Vorstellungen zur Durchsetzung eines Viehbestandabbaus in Deutschland wirken auf unsere Familien mit Tierhaltung wie ein Vernichtungsfeldzug. Derart radikale Positionen lassen leider kaum einen Spielraum für Annäherungen.

Die Kirchen nehmen das Angebot von Landfrauen und Landjugend gern an, den Altar mit Erntegaben üppig zu schmücken. Trifft dies auch für die inhaltliche Gestaltung der Gottesdienste zu?
Es gibt viele Beispiele guter Zusammenarbeit, aber leider müssen wir auch immer mal wieder feststellen, dass einzelne Kirchenvertreter sehr einseitige Positionen in Bezug auf die Landwirtschaft einnehmen. Bäuerinnen und Bauern, die sich zurzeit öffentlicher Kritik ausgesetzt sehen, erwarten jedoch gerade an einem Tag wie Erntedank von ihren Pastorinnen und Pastoren Zuspruch und Anerkennung. Dies gilt umso mehr, als auf vielen Höfen die wirtschaftlichen Sorgen schon sehr existenzbedrohend sind.

Das Jahr 2016 war nicht nur politisch, sondern auch witterungsbedingt ein schwieriges Jahr. Fällt es da schwerer, Danke zu sagen?
Wir Landwirte wissen, dass wir in der Natur arbeiten, von der Natur stark abhängig sind und nicht alles perfekt richten können. Wir säen, wir pflegen die Kulturen, und wir wollen am Ende auch ernten. Wir können heute dank moderner Technik, der optimalen Düngung und auch eines gezielten Pflanzenschutzes deutlich höhere Ernten erzielen als unsere Vorfahren. Die Witterungskapriolen haben, sehr auffällig im Weinbau, vor Augen geführt, dass dies alles tatsächlich Fortschritt bedeutet und unsere Ernten absichert. Verbraucherinnen und Verbrauchern müssen wir diese Zusammenhänge immer wieder neu erklären, auch dafür bietet der Erntedanktag einen willkommenen Anlass. Gemeinsam sollten wir alle dankbar für die Ernte sein und dafür, dass wir in unserem Land in Frieden leben dürfen. Dafür wünschen wir uns Gottes Segen.
Interview: Gabi von der Brelie

Erntedank- Dank?!

Gerade in diesem Jahr für die Ernte zu danken, fällt vielen Landwirten vermutlich schwer. Nicht nur, dass die Getreideernte nicht so ausgefallen ist wie erhofft. Die Bauern erleben in fast allen Produktionsbereichen schon seit geraumer Zeit, dass ihre Produkte nicht den Preis erzielen, der für einen rentablen Betrieb nötig wäre.
Milch, Fleisch, Getreide: Uns Verbrauchern fällt nur dann auf, wie billig wir uns hier ernähren können, wenn wir im Urlaub im Ausland höhere Preise für Brot und Butter zahlen. Bei uns im Land führen die geringen Preise im Lebensmittelhandel zum einen zu einem sorglosen Umgang mit Lebensmitteln. Viel zu viel landet nicht auf dem Teller, sondern in der Tonne. Zum anderen führt es  auf der Seite der Produzenten zu einem ruinösen Preisdruck.
Und als wäre das nicht genug, erleben sich viele Landwirte als Spielball von Gesellschaft, Politik und Medien. Sie vermissen häufig die Wertschätzung für ihr Tun. Mancher Bauer steht vor der Frage, den Hof aufgeben zu müssen oder hat es schon getan und damit eine Jahrhunderte alte Familientradition beendet. Ohnmacht und Resignation ist das Gefühl, das mir vielfach bei den Landwirten begegnet – so vor kurzem bei einem Gottesdienst in Ostfriesland, wo die Nöte der Milchbauern im Zentrum standen. Da fällt es schwer, sich über die Ernte des Jahres zu freuen oder gar dankbar dafür zu sein.
Vielleicht schwindet aus diesem Grund auch die Bedeutung des Erntedankfestes, sowohl bei den Landwirten als auch beim Rest der Bevölkerung. Für die meisten von uns gilt: Ich habe es nicht selbst produziert, weiß also nicht, wie viel Arbeit und Mühe in so einem Glas Bohnen, in einem Kilo Kartoffeln, Mehl, Zucker oder in einem Schnitzel steckt. Und muss trotzdem keine Angst haben, dass ich über den Winter hungern muss. Es ist reichlich da. Soll ich für Selbstverständliches dankbar sein? Ja, gerade dafür! Wenn stimmt, was der Theologe Hans Walter Wolff sagt: „Der Mensch ist dazu da, das Geschenk des Lebens dankbar zu empfangen“, dann sollten wir gerade für das scheinbar Selbstverständliche danken. Es als ein Geschenk wahrnehmen, uns  freuen über die Fülle des Lebens. Das kann den Blick verändern, mit dem ich auf das schaue, was mich ernährt, und ebenso auf den, der diese Arbeit für mich tut.
Darum ist es gut, dass zum Jahreslauf auch das Erntedankfest gehört und wir es gemeinsam feiern: Bäuerinnen und Bauern und all die, die durch deren  Arbeit ihr tägliches Brot haben. Und uns wenigstens einmal im Jahr bewusst machen, dass die gedeckten Tische nicht einfach so da sind, sondern wir sie dem Zusammenspiel von Gottes Segen und menschlicher Arbeit verdanken.  
Pastorin Ricarda Rabe,
Referentin beim Kirchlichen Dienst auf dem Lande, Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers