Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit - Foto: Hildebrandt
Foto: Hildebrandt

Tierhaltung Der Niedersächsische Tierschutzplan liegt seit Anfang 2011 vor. Eigentlich hatten sich die internen Arbeitsgruppen einen Maulkorb verordnet, um in Ruhe diskutieren zu können. Das selbst verordnete Stillschweigen durchbrach Minister Gert Lindemann jetzt, als er das Thema zum Gegenstand einer Pressefahrt machte. LAND & Forst begleitete die Tour nach Ruthe und in den Landkreis Nienburg .

Die wichtigste Aussage von Minister Gert Lindemann kam zum Schluss: „Mir ist daran gelegen, dass die Landwirte nicht als böse Massentierhalter gesehen werden, die ohne Rücksicht auf Verluste nur schnöde ans Geld verdienen denken.“

Frage aus der Praxis

Diese Anerkennung des Berufsstandes kam zu einem Zeitpunkt, als sich im Schweinemaststall von Henning Stelling in Linsburg (Landkreis Nienburg) nur noch zwei Journalisten befanden. Ursprünglich hatte die Pressetour am Morgen mit 15 Kollegen begonnen.

Dabei gab es in dem niegelnagelneuen Stall allerhand zu hören und zu sehen, was wiederum Fragen für die Umsetzung des Tierschutzplanes in der Praxis aufwarf. Denn der 33-jährige Landwirt verzichtet auf die Kastration, kupiert die Schwänze nur um ein Drittel, reduziert die Bestandsdichte und installierte seine eigens entwickelten Strohraufen als Spielzeug für die Mastschweine. Trotzdem bringt der Aufwand keinen durchschlagenden Erfolg: „Wir haben noch zehn Prozent Schwanzbeißer.“ Außerdem sind die Mehrkosten derzeit nicht am Markt zu erlösen.
Dr. Heinz Gerd Hülsmann, bestandsbetreuender Tierarzt bei Stelling, warf Frage auf: „Wir haben in einer Bucht nur die Hälfte der Tiere, tolles Klima, Licht und die Stroh – trotzdem stellen wir Schwanzbeißen fest. Woher kommt das?“ Die spontane Offenheit des Veterinärs brachte das Resultat des Tagesausfluges auf den Punkt: Der Tierschutzplan lässt sich nur langsam, Schritt für Schritt umsetzen.
Zu diesem Urteil kam auch Dr. Christian Sürie, Leiter des Lehr- und Forschungsgutes Ruthe der Tierärztlichen Hochschule (TiHo). Er hatte am Vormittag erste Ergebnisse in der Geflügelmast und der Hühnerhaltung präsentiert. „Ein voll ausgeprägter Putenschnabel ist eine Waffe“, stellte er klar. Sürie bezog sich damit auf die Forderung des Tierschutzplanes, künftig auf das Schnabelkürzen völlig zu verzichten. Die TiHo begleitet wissenschaftlich elf Pilot-Legehennenbetriebe, die diese Forderung umsetzen.

Die Ergebnisse sind sehr unterschiedlich. „Mal haben wir eine Gruppe, da klappt alles vorbildlich, und bei der nächsten Gruppe stellen wir wieder das Federpicken fest“, erklärte Sürie. Er zeigte den Journalisten Legehennen, deren Zustand er als „äußerst unbefriedigend“ bezeichnete: Vielen fehlten am Stoß bereits die Federn. Dabei wurden ihnen in Bodenhaltung mit Sandeinstreu, Heuraufen und Weizenkörnern viel Spielmaterial zur Verfügung gestellt.

Langfristig ansetzen

„Das allein scheint nicht zu reichen. Wir müssen vermutlich auf die Genetik zurückgehen“, sagte Sürie. Der Institutsleiter warf außerdem die Frage auf, ob es tiergerecht sei, wenn ein Huhn innerhalb von 33 Tagen von 42 Gramm auf zwei Kilogramm gemästet werde.

Als Landwirtssohn erinnerte er sich auch an die ökonomischen Belastungen der politischen Auflagen: „Die Landwirte sind heute in der Lage, alles zu liefern, was sich der Verbraucher wünscht. Auch den Streichelzoo. Am Ende steht und fällt aber alles mit den Erlösen.“ Die Neigung, mehr Geld für mehr Tierwohl auszugeben, ist in den Niederlanden, wo diese Versuche laufen, noch niedrig. Dort wurden bereits speziell ausgezeichnete Waren angeboten. „Die Akzeptanz der Verbraucher war gering“, stellte Minister Lindemann fest.
Sabine Hildebrandt