Existenzbedrohung Flächenverlust

Bildquelle: Silke Aswald

Landwirte diskutieren bei Tour de Flur mit Barbara Otte-Kinast

Achim (sas). Direkt am Bremer Kreuz zwischen A1 und A27 soll ein 90 Hektar großes neues Gewerbegebiet samt Anschlussstelle „Achim-West“ entstehen. Das insgesamt 140 Millionen Euro teure Großprojekt steht beispielhaft für viele Bauprojekte in Niedersachsen, durch die landwirtschaftliche Betriebe Bewirtschaftungsflächen verlieren. Und dies scheinbar ohne jegliche Anteilnahme auf Seiten der Projektleitung. „Weder die Verwaltung noch die Stadt sowie ein Großteil der Ratsmitglieder hat bisher konstruktive Lösungsverschläge parat. Es hat den Anschein, dass die existenzielle Bedrohung der Landwirtsfamilien überhaupt keine Rolle bei der Planung spielt“, ärgert sich Jörn Ehlers 1. Vorsitzender des Landvolk-Kreisverbands Rotenburg-Verden e. V. über die Vorgehensweise bei Bauprojekten wie „Achim-West“. Das Thema Flächenverlust war daher auch Anlass für eine Tour de Flur mit der niedersächsischen Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast. Am 25. August organisierte der Landvolk-Kreisverband Rotenburg-Verden gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum Ökolandbau Niedersachsen (KÖN) diese Radtour, deren Startpunkt direkt an den Flächen für das geplante Gewerbegebiet Achim-West lag. Viele Verbraucher, aber auch Landwirte folgten der Einladung. Dazu zählten auch jene, die mindestens zehn Prozent oder mehr ihrer Flächen in dem Gebiet bewirtschaften. Das sind insgesamt neun an der Zahl. Einige von ihnen würden bis zu 70 Prozent ihrer Flächen verlieren, käme das Gewerbegebiet tatsächlich zustande.

Landwirte verlieren zweimal

Auf dem ehemaligen landwirtschaftlichen Betrieb von Günter Kunzky, der direkt zwischen A1 und A27 liegt, startete die Radtour. Jörn Ehlers informierte zu Beginn über den Flächenverlust, den die landwirtschaftlichen Betriebe durch das Großbauprojekt erleiden würden. „Die Landwirte fürchten um ihre Existenz. Sie sind größtenteils nicht Eigentümer der Flächen, die sie bewirtschaften, sondern lediglich Pächter. Verkauft der Eigentümer seine Flächen an die Stadt, können sie nichts unternehmen und verlieren wichtige Ackerflächen“, betonte Jörn Ehlers vor der niedersächsischen Landwirtschaftsministerin. Landwirte seien bei solchen Bauprojekten gleich zweimal der Verlierer: Einmal verlieren sie die Ackerfläche und da das Gesetz Ausgleichsflächen bei derartigen Projekten fordert, müssten Landwirte auch hier Einbußen hinnehmen. Passend dazu stellte Bettina Frieben vom KÖN das Konzept der produktionsintegrierten Kompensation durch Ökolandbau vor. Denn bereits in mehreren Gebieten sei die Umstellung auf Ökolandbau als Kompensationsmaßnahme anerkannt worden.

Betroffenheitsanalyse als einzige Möglichkeit

Mit großer Skepsis stehen die betroffenen Landwirte der Vorgehensweise der Stadt Achim gegenüber. Wurde ihre Betroffenheit doch bisher in keiner Weise berücksichtigt. „Zumindest hat die Stadt vor Kurzem eine Betroffenheitsanalyse bei der Landwirtschaftskammer in Auftrag gegeben, in der die Landwirte ihre Lage darstellen können und deren Ergebnisse in die Projektplanung mit einfließen sollen“, erklärte Ehlers den Teilnehmenden der Radtour. Für den Kreisverband und für die Landwirte ist dieser Schritt der einzig verbliebene, da rechtliche Schritte ausgeschlossen sind – Der Verband hat kein Klagerecht und da die Landwirte größtenteils Pächter und nicht Eigentümer der Flächen sind, gilt dasselbe auch für sie. Hinzu kommt ein strukturelles Problem: In dem Gebiet befinden sich zahlreiche kleine Parzellen, sodass 20 bis 30 Verpächter ihre Flächen einem Betrieb verpachtet haben. Insgesamt gibt es 81 Eigentümer und der Verkauf einiger weniger Flächen führt bereits dazu, dass die Bewirtschaftung der restlichen Flächen unrentabel wird. Mit dem Kaufinteresse der Stadt Achim sind außerdem die Preise gestiegen, sodass sich der Ankauf für die jetzigen Pächter betriebswirtschaftlich nicht lohnen. Ein Dilemma, das der niedersächsischen Landwirtschaftsministerin Kinast durchaus bewusst ist: „Ich empfinde mich nicht nur als Landwirtschaftsministerin, sondern auch als Raumordnerin“, betonte sie vor Beginn der Tour. Landwirte seien heutzutage einem sehr hohen Druck ausgesetzt, sodass sie tatsächlich manchmal darüber nachdenke, nicht nur Ackerflächen, sondern auch Landwirtsfamilien unter Schutz zu stellen.