Nächste Generation bei Biocare bringt ökologische Variante verstärkt auf den Acker
L P D – Ob der Drahtwurm in der Kartoffel oder der Maiszünsler in der namengebenden Kulturpflanze Mais: Diese beiden Schädlinge haben früher schon ganze Ernten vernichtet, und auch heutzutage sorgen sie für starke Verluste bei der Ernte, wenn ihnen nicht mit Pflanzenschutzmitteln Einhalt geboten wird. „Wir arbeiten mit Nützlingen bzw. mit den Verhaltensweisen der Schädlinge und nutzen diese Eigenschaften für unsere Bioinsektizide, um die Schäden in den Kulturen zu minimieren“, erklärt Elisa Beitzen-Heineke, die seit 2016 im Betrieb ist und seit 2020 gemeinsam mit ihrem Bruder Sebastian das innovative Familienunternehmen Biocare in Dassel-Markoldendorf führt.
„Wir entwickeln und produzieren biologische Pflanzenschutzmittel, die sowohl die ökologischen als auch die konventionellen Landwirte unterstützen sollen, gesunde Lebensmittel zu produzieren. Die Bedürfnisse der Landwirte stehen dabei für uns im Fokus: hohe Wirkungsgrade, Wirtschaftlichkeit und Anwenderfreundlichkeit“, erklärt die 30-jährige geschäftsführende Gesellschafterin die Unternehmensphilosophie. Chemische Pflanzenschutzmittel unterliegen strengen Regularien, werden verboten und sind im Biolandbau nicht erlaubt, sodass verstärkt nach Alternativen gesucht wird und biologische Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen.
„,Trichosafe‘ war das 5. Kind meines Vaters“, berichten die beiden Geschwister stolz. Wilhelm Beitzen-Heineke hatte 1995 das Unternehmen in Hullersen bei Einbeck gegründet. Über die Jahre hinweg wurde investiert und vergrößert, sodass 2012 ein Standortwechsel nach Markoldendorf erfolgte. Auf über 20.000 Quadratmetern forschen, entwickeln und produzieren 50 Mitarbeiter biologischen Pflanzenschutz. Beitzen-Heineke sen. erkannte, dass die Schlupfwespe „Trichogramma brassicae“ ein effektiver und natürlicher Feind des Maiszünslers ist – ein Nützling par excellence. „Das Trichogramma-Weibchen parasitiert den Großteil der Maiszünsler-Eier, d.h., sie legt ihre Eier in die Eier des Maiszünslers. Statt Maiszünsler entwickeln sich dort neue Trichogramma-Schlupfwespen, die wiederum weitere Maiszünsler-Eier vereinnahmen und dort ihre Eier ablegen und so weiter“, erklärt Elisa Beitzen-Heineke das Prinzip dieses Öko-Pflanzenschutzmittel gegen den Maiszünsler. Frankreich mit seinen großen und warmen Maisflächen zählte seit Beginn als Hauptabsatzland, doch die Anwendungsfläche in Deutschland wächst zunehmend. Insgesamt beträgt bei Biocare der Exportanteil 75 Prozent.
Die erste Anwendung auf dem Feld erfolgt je nach Region ab Mitte Mai bis Anfang Juli, vor dem ersten Flughöhepunkt des Maiszünsler-Weibchens – entweder manuell über den seit 20 Jahren bewährten „Trichosafe“-Anhänger oder über die „Trichosafe“-Kugel. Die zwei Zentimeter große Kugel ist biologisch abbaubar und wird manuell oder auf größeren Flächen mittels Streuer mechanisch beim Fahren durch den Maisbestand ausgebracht. „Besonders in Deutschland weit verbreitet ist die Ausbringung der Kugeln auch per Drohne“, zeigt Sebastian Beitzen-Heineke auf. Der 28-Jährige ist im Familienunternehmen für Produktionstechnik und Automatisierung verantwortlich.
Forschung und Entwicklung hingegen ist das Gebiet von Elisa Beitzen-Heineke, die in Hohenheim und England studierte und aktuell an der Uni Göttingen zu Nutzpflanzen promoviert. Bis zu 13 Prozent des Umsatzes steckt das mittelständische Unternehmen in Forschung und Entwicklung. „Allein für die Zulassung von Attracap gegen Drahtwurmbefall rechnen wir mit einer Million Euro Kosten, dazu kommen die Entwicklungskosten“, führt Elisa Beitzen-Heineke aus. „Bisher haben wir in mehreren europäischen Ländern die Zulassung für Notfallsituation, aber wir möchten die reguläre europaweite Zulassung. Mit etwas Glück erhält man am Ende einen Kostennachlass, wenn das Produkt im öffentlichen Interesse steht“, schildert die Agrarwissenschaftlerin den langen Weg der Forschung mitsamt der dazugehörigen EU-Bürokratie, den auch Bio-Pflanzenschutzmittel durchlaufen.
Der Befall von Kartoffeln mit Drahtwürmern hat – befördert durch den Zwischenfruchtanbau und dem damit permanenten Fressangebot – in den vergangenen Jahren vor allem in Süddeutschland zugenommen. Bei „Attracap“ nutzt Biocare die Attract-and-Kill-Strategie – gezielte Anlockung und vor Ort töten. „Drahtwürmer können nicht sehen, sondern nur riechen. In dem Granulat, das mit dem Kartoffellegen unter die Knolle gebracht wird, sind Hefezellen als Lockstoff und der natürlich vorkommende, aber für Drahtwürmer tödliche Pilz Metarhizium brunneum. Nach Wasseraufnahme beginnen Lockstoffproduktion und Pilzwachstum. Kommt der Drahtwurm damit in Kontakt, infiziert er sich und stirbt ab“, beschreibt die 30-Jährige die Wirkung des Bio-Insektizids. Die Drahtwürmer werden dabei reduziert, aber nie ganz ausgerottet. „Ziel ist grundsätzlich die Population des Schädlings unter die wirtschaftliche Schadschwelle zu bringen. Da keine Ausrottung stattfindet, entstehen auch keine Resistenzen, aber auch kein 100-prozentiger Schutz“, zeigt die Agrarwissenschaftlerin Für und Wider auf. Der Wirkungsgrad liege zwischen 30 und 70 Prozent, und gegen Drahtwürmer gebe es bislang keine zugelassenen chemischen Mittel.
„Viele unserer Kunden sind konventionelle Landwirte, die sehen, dass es funktioniert. Schade ist, dass es oftmals nur über Verbote funktioniert, da sollten wir alle dran arbeiten. Das Wissen ist komplex, und von daher ist es gut, dass mehr geforscht wird, um biologischen Pflanzenschutz in die Praxis zu bringen“, erklärt das Geschwisterpaar abschließend. Biocare erhielt übrigens vom Bundeslandwirtschaftsministerium vor kurzem gemeinsam mit weiteren Projektpartnern einen Zuwendungsbescheid über 843.000 Euro für die Erforschung nicht-chemischer Pflanzenschutzmittel für das Verbundvorhaben HOPE – „Entwicklung holistischer Formulierungsverfahren für den biologischen Pflanzenschutz von Beerenobst.“ (LPD 35/2021)