Postkarten-Idylle statt Urlaub vom Hofalltag

Postkarten
Postkartensammlung als Urlaubsersatz Foto: Landvolk NIedersachsen
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Tierhaltende Höfe müssen auch heutzutage die Auszeit vom Hof planen

L P D – Von Australien, Bad Pyrmont, Fuerteventura, über Seattle, Venezuela bis Zwickau reicht die Kollektion: Seit 1979 sammelt Milchbäuerin Anne B. (Name von der Redaktion geändert) Postkarten, die ihr Freunde, Verwandte und Bekannte aus allen Ländern dieser Welt geschickt haben. „Sie haben mir damit eine große Freude gemacht. Für mich war es ein Ersatz für das Nicht-Reisen-Können aufgrund unserer Milchviehhaltung. Später kamen dann noch die Krankheit und Pflege meines Mannes hinzu. Wir hatten während unserer aktiven Zeit als Landwirte nie Urlaub“, schildert Anne B. ihre Geschichte und zeigt einen Korb mit Hunderten von Postkarten.

Jedes Jahr im Januar beginnt im Bauernhaus der Familie B. die Sammlung aufs Neue. An der Küchenwand werden die eintreffenden Postkarten mit Tesafilm fixiert. „Anfang Januar sind es jetzt erst zwei, während des Sommers kommen die meisten dazu und bis zum Jahresende kann die Anzahl bis auf 90 Karten steigen“, erklärt die 72-Jährige aus Südniedersachsen. Dann nimmt die einst gelernte Hauswirtschafterin die Karten ab. Gemeinsam mit ihrem Mann Manfred hat sie im Vorfeld schon eine Kordel gedreht, mit der die Karten nun gebündelt werden. „Jahr für Jahr – seit 1979. Da sind einige Hundert zusammengekommen“, schildert Anne, die gerne mal als junge Frau verreist wäre.

Doch das war zur damaligen Zeit und unter dem Zepter der Altenteiler, also der Schwiegereltern, die auf dem Hof ihren Ruhesitz hatten, nicht möglich. „Wir hatten keinen Urlaub, ihr braucht auch keinen – so war das Denken damals“, berichtet die Milchbäuerin, die 1970 auf den 30-Hektar-Vollerwerbsbetriebs mit Milchvieh und Nachzucht sowie Wald kam, ohne Neid auf die reiselustigen Freunde und Bekannte. „Es war vielmehr ein Interesse meinerseits zu den Ländern und Orten, irgendwann diese auch einmal zu besuchen.“ Früher habe man gerne Postkarten – beispielsweise während der Kur-Aufenthalte – geschrieben, sodass Anne gerne um Zusendung gebeten hat. „Später kamen die ersten Fernreisen hinzu, und heute schickt man eher eine Whatsapp mit Foto. Aber noch erfüllen uns einige unsere Bitte“, freuen sich die beiden über jede eintreffende Postkarte, von denen sie heute noch fast immer wissen, von wem sie geschrieben wurde.

Im Laufe der Zeit vernichtet Anne den einen oder anderen Postkarten-Stapel, doch nicht, ohne vorher die Briefmarken auszuschneiden. „Ich schicke sie an die Sammlung nach Bethel. So können sich noch weitere daran und den guten Zweck erfreuen.“Nur Karten von Leuten, die schon verstorben sind und keiner mehr kennt, werden aussortiert. Doch die Karte eines einstigen Verehrers, der einst als Soldat in der Nähe stationiert war, hat Anne bis heute behalten. Erst später, als Anne und ihr Mann ihren Hof nur noch im Nebenerwerb betrieben, konnten auch sie ein paar Mal verreisen. „Sogar ein Flug nach Siena in die Toskana, um die Tochter zu besuchen, war dabei. Dabei haben wir festgestellt, dass wir bodenständig sind und lieber das Fahrrad nehmen“, erinnert sich das Ehepaar an einige schöne Radtouren, die sie zumeist in Deutschland noch unternehmen konnten, bevor Anne und ihr Mann aufgrund dessen Erkrankung wieder an den Hof gefesselt wurden. „Früher standen Hilfskräfte auf dem Hof nur im Notfall zur Verfügung. Heutzutage gibt es Betriebshelfer, Fachkräfte oder Zusammenschlüsse von Bauernfamilien, die sich gegenseitig helfen und während der Auszeit vom Hof einspringen, sodass auch tierhaltende Familienbetriebe Urlaub machen können. Das ist eine gute und schöne Entwicklung, denn die Verantwortung gegenüber dem Tier hat sich nicht geändert“, resümiert die 72-jährige Anne und freut sich mit diesen Familien und deren Auszeit vom Hofalltag. (LPD 10/2022)

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Silke Breustedt-Muschalla

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