„Hof mit Zukunft“: Arbeit der Bauern kennenlernen / Verständnis für Landwirtschaft
L P D – Wenn man sich gemeinsam die Hände dreckig macht, lernt man sich am besten kennen: Das ist der Kerngedanke des Projekts „Hof mit Zukunft“,ein Format vom Bündnis „Wir haben es satt“, bei dem Aktivismus auf Landwirtschaft trifft. Deutschlandweit haben rund 70 Aktivistinnen und Aktivisten aus der Tier-, Klima- und Umweltschutzszene 30 Bauernhöfe für ein Wochenende besucht und mitgearbeitet. Konkret heißt das: Anpacken, diskutieren und Visionen für die Zukunftslandwirtschaft entwickeln. Jochen und Jan Ole Oestmann aus Rethem an der Aller haben sich als einer der wenigen konventionellen Betriebe auf das Abenteuer, Aktivistinnen auf dem Hof zu haben, eingelassen: „Carla, Klara und Friederike haben ihre Sache super gemacht. Ich fand es bemerkenswert, mit welcher vorurteilsfreien Offenheit die drei jungen Mädchen sich an das Thema gemacht haben. Wir sind mit 5.000 Schweinen, groß und konventionell arbeitend, ja das klassische Feindbild. Der Umgang während dieser drei Tage war harmonisch, und alle Seiten haben was gelernt“, berichtet der 54-jährige Landwirt mit Schweinemast, Biogas, Photovoltaik und 520 Hektar Ackerbau gegenüber dem Landvolk-Pressedienst. Auch die drei Aktivistinnen bekräftigten, dass ihnen dieser Austausch sehr wichtig war.
Wann immer und wo es möglich war, nahmen Jochen Oestmann und seine Söhne Lasse und Malte die beiden 19-jährigen Mädchen, Friederike aus Bremerhaven und Klara aus Hamburg, sowie die 27-jährige Carla aus Berlin bei den vielen Arbeiten auf dem Hof mit. Sie ließen sie beim Aufstellen der Beregnungsanlage anpacken und erklärten ihnen wie diese auf den Feldern funktioniert, warum sie beregnen oder weshalb eine Biogasanlage Teil des Kreislaufsystems mit Schweinehaltung ist. Als besonders intensiv empfanden die drei zum Teil vegan lebenden Aktivistinnen die konventionelle Schweinehaltung mit 3500 Schweinen. „Ich wollte unbedingt mal selber einen Stall von innen sehen. Der Kontrast zwischen Haltungsstufe 2 und 4 ist schon enorm“, berichtet Friederike. Jochen und Lasse Oestmann zeigten ihr die Funktionsweise der automatischen Fütterung und Wasserversorgung und erklärten die Abläufe eines Schweinemastdurchgangs bis zur Schlachtreife – kritische Nachfragen seitens der tierliebenden Aktivistinnen zu Wohlbefinden und Schwanzbeißen inklusive.
„Der Stall mit 1500 Schweinen in Haltungsstufe 4 mit Stroh, Auslauf und mehr Platz pro Tier ist schon besser als hier im Stall mit Stufe 2. Man sieht, dass die Tiere sich langweilen und ihrem natürlichen Bedürfnis zu wühlen nicht nachkommen können“, schildert Friederike, die sich bei Fridays For Future engagiert, ihre Eindrücke. „Aber das hier ist das Fleisch, das die Leute haben wollen und dass sie bezahlen können. Ich kann auch glückliche Schnitzel bzw. teuer Fleisch mit Stufe 4, bei der ich aktuell pro Schwein 20 Cent pro Kilogramm drauflege“, verweist Jochen Oestmann auf die eingebrochene Nachfrage der Verbraucher nach Fleisch mit höherem Tierwohl. Nur über die Querfinanzierung aus anderen Bereichen des Hofes sei die Stufe 4 aktuell überhaupt noch bei Familie Oestmann machbar. Und auch diesen Schweinen hier gehe es gut, erklärt Oestmann. „Wenn sie auf der Seite liegen und die Füße ausstrecken, ist dies ein Zeichen von Tiefenentspannung.“ Aktivistin Friederike säubert nebenbei die Tränken und kontrolliert die Futterstellen. Sie bleibt dabei: „Ich glaube, den Tieren geht es mental nicht so gut, diese Schweine können nicht ihre Bedürfnisse ausleben, sie haben auch Gefühle. Aber ihr geht gut mit den Tieren um, achtet auf Krankheiten und man merkt, dass sie euch am Herzen liegen. Mir würde es aber keinen Spaß machen, nur damit andere Fleisch als Wohlstandslebensmittel essen können.“
Dass der Hof Oestmann so groß ist, hat die Aktivistinnen überrascht. Neben der fünfköpfigen Familie Oestmann ernährt er fünf weitere Mitarbeiter und deren Familien. „Größe allein ist kein Makel. Du musst deinen Job gut machen“, ergänzt Jochen Oestmann. Heiß diskutiert wird daher der von den Aktivistinnen vertretene, nach aktueller Politik wirtschaftlich schwer umsetzbare Ansatz „small is beautiful“: Kleine Bauernhöfe, die ökologisch und regional das herstellen, was benötigt wird – mit viel Tierwohl oder am besten ganz ohne tierische Produkte.
Welchen Aufwand das für die Arbeit auf dem Acker mit sich bringt, durften die Aktivistinnen beim Distelziehen im Weizen erfahren. Trotz Pflanzenschutzmittel haben sich auf 15 Hektar Weizen, der zweimal beregnet wurde, die Disteln stellenweise ausgebreitet. Mit Handschuhen ausgerüstet wird gemeinsam das stachelige Unkraut per Hand möglichst mitsamt Wurzel herausgezogen. Viele Hände für ein schnelles Ende wären erforderlich, um den Acker zu bearbeiten. „Dafür findet man keine Leute, die das machen – und nach zwei Stunden ist auch dir langweilig“, sagt der 22-jährige Lasse, der als Betriebswirt Agrar die vielfältige Arbeit auf dem Hof schätzt. Mit seinen beiden Brüdern möchte er den Hof Oestmann weiterführen. „Es geht immer noch ein Mehr an Tierwohl oder Naturschutz. Aber man muss davon leben und vor allem planen können. Dazu muss die Politik verlässliche Rahmenbedingungen schaffen, damit der Hof überhaupt eine Zukunft hat“, setzt der 26-jährige Malte Oestmann dagegen.
Ideen und Kommunikation seien immer wichtig, damit man etwas weiterentwickeln könne, führt Vater Oestmann aus. „Für uns als Hof bedeutete diese Aktion einen hohen Aufwand, der uns letzten Endes Geld gekostet hat. Aber als Bauernverband müssen wir pro aktiv die Richtung „Bauer trifft Verbraucher“ vorantreiben und bereit sein, uns von unserer Position zu bewegen und uns dieser Klientel zu öffnen. Ich kann aber auch Kollegen verstehen, die sagen, Aktivisten kommen mir nicht auf den Hof. Aber den Austausch auf dieser Ebene weiterzuentwickeln und den Weg dahin konkret zu beschreiben, dass wäre schlau und gut. Bei uns hat alles gut geklappt, wir haben unseren Beitrag geleistet. Beeindruckt hat mich, dass junge Menschen bereit sind, den Großteil ihres Einkommens für Lebensmittel auszugeben und dafür auf andere Sachen zu verzichten.“
Friederike hat nach diesem Besuch auf jeden Fall mehr Verständnis für die Landwirtschaft und versteht, warum die Abläufe so gemacht werden. Der wirtschaftliche Aspekt sei ihr und den anderen Aktivistinnen schon deutlich geworden. „Ich muss es aber nicht gut finden und kann jetzt auch genau sagen, was mir missfällt. Wir haben über viele Ideen gesprochen, es ist schwierig auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, aber wir haben ein paar Gemeinsamkeiten gefunden. Mein Appell geht deshalb an die Politik, die das ändern muss. Denn gäbe es finanzielle Anreize, ist die Bereitschaft zur Veränderung durchaus vorhanden. Das haben wir bei deutlich erkannt. Nur wenn sowohl Landwirte als auch Verbraucher Verantwortung übernehmen, können sie gemeinsam Veränderung erwirken, die alle Beteiligten berücksichtigt“, zieht sie ihr Resümee zum Arbeitseinsatz beim Projekt „Hof mit Zukunft“. (LPD 45/2023)