Billige Importware aus Polen und Ungarn macht deutschen Gänsehaltern zu schaffen
L P D – Der Martinstag und Weihnachten stehen vor der Tür. Die Gastronomie lockt aktuell mit den beliebten Gänseessen im November, und wenn zu Weihnachten die Gans aus Niedersachsen auf den Tisch kommen soll, wird es Zeit sich darum zu kümmern. „Die Nachfrage läuft super“, sieht Chris Steckel vom gleichnamigen Geflügelhof im südniedersächsischem Gladebeck der Saison optimistisch entgegen. Er hofft auf einen guten Absatz seiner 5.000 Gänse, die er nun nach und nach schlachtfrisch auf den Wochenmärkten in der Region Göttingen und im Direktverkauf anbietet.
Weniger euphorisch blickt hingegen Iris Tapphorn aus Lohne in die Zukunft der Gänsebranche insgesamt. Nicht nur die von Amtswegen im Jahr 2021 angeordnete Keulung ihres Gänse-Bestandes inklusive der defizitären Erstattung aufgrund der Vogelgrippe sowie die politischen Rahmenbedingungen mit ihren Auflagen machen der 40-jährigen Gänsezüchterin zu schaffen. „Wenn weiterhin Fleischteile von Stopflebergänsen ungekennzeichnet zu Dumpingpreisen ins Regal kommen, dann sehe ich für die gesamte Gänsehaltung in Deutschland ein Problem. Viele Kunden würden diese Ware nicht kaufen, wenn sie das wüssten“, erklärt sie gegenüber dem Landvolk-Pressedienst und sieht die Politik in der Pflicht, hier für faire Handelspraktiken zu sorgen.
Aktuell werden im Handel und somit teilweise auch in der Gastronomie laut Dieter Oltmann von der Niedersächsischen Geflügelwirtschaft (NGW) die tiefgefrorenen Gänse aus dem letzten Jahr abverkauft. Aufgrund der geringeren Aufzucht von Gänsen in den letzten beiden Jahren und der damit ausgelösten Verknappung deutscher Gänse sowie der inflationsgetriebenen höheren Preise im Handel mit 18 bis 22 Euro pro Kilogramm herrschte vergangenes Jahr beim Kauf der Martins- bzw. Weihnachtsgans eine gewisse Zurückhaltung. Oltmann sieht aktuell keine große preisliche Änderung zum vergangenen Jahr. Mit einem Eigenversorgungsanteil von gerade einmal 18 Prozent stünden nur wenige deutsche Gänse dem Markt zur Verfügung. „Das bedeutet, dass der Löwenanteil der Nachfrage im Handel mit Import-Gänsen aus Ungarn und Polen gedeckt wird. Am Ende werden die beiden Länder wieder einen enormen Preisdruck ausüben“, ist sich Oltmann sicher.
Davon ist auch Iris Tapphorn überzeugt. Diese ausgeübte Marktmacht im Lebensmitteleinzelhandel sowie die uneinheitliche EU-Kennzeichnungspflicht für Gänseprodukte ärgert sie: „Die Stopfleberproduktion aus dem Ausland muss klar als Qualzucht gekennzeichnet werden, damit der Verbraucher auf einem Blick erkennen kann, ob er eine Gans aus einer Qualhaltung kauft oder eine deutsche artgerecht gehaltene Weidegans erwirbt“, fordert Tapphorn immer wieder in Gesprächen mit Politikern auf allen Ebenen. „Doch keiner traut sich Entscheidungen gegenüber dieser großen Lobby zu treffen, sodass wir Gänsehalter, denen das Tierwohl und die Nachhaltigkeit am Herzen liegen, das Nachsehen haben“, erklärt sie die schwierige Lage. „Nur weil ich die Gans im Ganzen – also alle Bereiche von der Elterntierzucht, EU-Brüterei, Aufzucht, Mast, EU-Schlachterei bis hin zur Federverarbeitung – vermarkte und zusätzlich auf das Standbein Agri-PV setze, bin ich optimistisch für die Zukunft“, zeigt Tapphorn die Probleme in der EU-Handelspolitik auf. Sie versucht Synergien zu nutzen und verkauft ihre 4.000 Tiere mit einem Preis von 16,50 Euro pro Kilogramm. Aktuell verkauft auch sie noch Restbestände aus dem vergangenen Jahr, da sie nicht bereit war, ihre qualitativ hochwertigen Gänse zu Dumpingpreisen auf den Markt zu bringen.
Chris Steckel hingegen konnte seine Gänse im vergangenen Jahr alle verkaufen. „Ich habe eine tolle Kundschaft, die zu unserem guten, regionalen Produkt und zu mir steht. Meine Kunden sind bereit, den Preis von 14,90 Euro pro Kilogramm zu zahlen und können so guten Gewissens die Martins- oder Weihnachtsgans genießen“, sieht der 48-jährige Geflügelhalter die Vorteile regionaler Vermarktung, trotz gestiegener Lohnkosten. (LPD 84/2024)