Maike und Manfred Tannen waren gerne Sauenhalter – und sie waren damit erfolgreich. Trotzdem verlässt in zwei Wochen die letzte Sauengruppe den Hof: Das Ehepaar hat den Betriebszweig endgültig ausgemustert. Manfred Tannen geht nachdenklich durch das leere Deckabteil seines Sauenstalles in Ben- sersiel (Kreis Wittmund). Die Kastenstände zum Besamen, die Buchten für die Sucheber, Boden und Wände sind frisch gereinigt. So sieht es immer aus, bevor die nächste Gruppe eingestallt wird. Doch hier werden keine Tiere mehr eingestallt, denn Manfred Tannen gibt seine Sauenhaltung auf. Der Großteil seiner 250 Sauen hat den Betrieb schon verlassen, eine Gruppe mit 48 Sauen steht noch im Abferkelstall. Wenn deren rund 600 Ferkel abgesetzt sind, gehen auch die restlichen Sauen zum Schlachter. Dann werden Tannen und seine Frau Maike sich auf die 180 Milchkühe und ihre Ferienwohnungen auf ihrem „Bauernhof am Deich“ konzentrieren. Damit enden über 100 Jahre Schweinehaltung auf dem Betrieb Tannen. Leicht ist den beiden die Entscheidung zum Ausstieg deshalb nicht gefallen. Zum einen, weil sie gerne Ferkel erzeugt haben und zum anderen, weil sie wirtschaftlich damit Erfolg hatten. Weshalb also nun das „Aus“?
Um das zu erläutern, lädt der 50-jährige Landwirt Medienvertreter ein. Viele von Tageszeitungen, Radio- und Fernsehsendern sind gekommen und stehen gemeinsam im leeren Stall. Tannen ist außerdem Vorsitzender des Kreislandvolkverbandes Wittmund – und er möchte, dass die Öffentlichkeit, dass Verbraucher und auch die Kritiker der Tierhaltung verstehen, warum er aufhört. Seine Entscheidung ist kein Einzelfall: In Niedersachsen gab es 2010 noch 3.400 Betriebe mit Sauenhaltung, aktuell sind es gerade noch einmal 2.000. Das ist ein Minus von 40 Prozent. Im Landkreis Wittmund gibt es noch 15 Betriebe, die zwischen 44 und 476 Sauen halten.
Die letzte Entscheidung zum Ausstieg gab für Tannen das so genannte Magdeburger Urteil, nach dem die derzeit übliche Kastenstandbreite von 70 cm für Sauen als nicht ausreichend gilt. „Ich will mit meiner Sauenhaltung nicht in einen rechtlichen Graubereich geraten“, sagt er. Wie er den bestehenden Stall an die neuen Ansprüche anpassen müsste, kann ihm derzeit aber weder die Veterinärbehörde noch die Bauberatung sagen. Damit bei ihm die gleiche Zahl Sauen weitergehalten werden kann, würde der Umbau des Deckstalls schätzungsweise mit gut 100.000 Euro zu Buche schlagen.
Grundsätzlich kritisiert der Landvolk-Vorsitzende, dass eine erteilte Baugenehmigung keine Produktionssicherheit zumindest für den Abschreibungszeitraum gibt. „Wie soll man da jungen, gut ausgebildeten und motivierten Landwirten den Rat geben, den Betrieb weiterzuführen?“ fragt er. Auch die Diskussion um das Kupier- und das Kastrierverbot sieht er kritisch. Nur Deutschland habe etwa das Verbot der betäubungslosen Kastration auf Ende 2018 terminiert. Das sei für ihn ein klarer Wettbewerbsnachteil gegenüber den anderen EU-Ländern mit Ferkelerzeugung: „Es prasseln immer mehr und immer schneller neue Anforderungen für mehr Tierwohl auf die Landwirte ein, ohne Übergangsfristen oder ohne höhere Erlöse oder ohne Handlungsempfehlungen, wie man etwa die unkupierten Tiere halten soll.“
Tannen möchte nicht falsch verstanden werden. Er will keine Stützung der Märkte durch die Politik, er möchte Wettbewerbsgleichheit mit anderen EU-Ferkelerzeugerländern. Denn diese Ferkel, günstiger erzeugt wegen weniger Auflagen, werden auch weiterhin nach Deutschland kommen. Aber die Wertschöpfung in Deutschland gehe eben verloren.
Lars Prigge, Sauenhalter aus Brest, Landkreis Stade, ist bei dem Gespräch mit der Presse auf dem Betrieb Tannen dabei. Prigge ist Vorsitzender des Arbeitskreises Sauenhaltung im Landvolk Niedersachsen. Prigge erläutert, dass die Einführung der Gruppenhaltung tragender Sauen 2013 der Beginn eines starken Strukturwandels in der Ferkelerzeugung war. Vor allem kleinere Betriebe brachen weg, weil sie die nötigen Investitionen nicht schultern konnten. Diese Gefahr sieht er auch jetzt bezüglich des Kastenstandurteils: „Unsere Sauenhalter brauchen dringend eine Phase der Ruhe und Planungssicherheit“, mahnt er eindringlich.
Manfred Tannen schließt in seinem Stall die Tür zum Deckabteil zu. Er hat deutlich gemacht, dass es derzeit in vielen Betrieben so läuft wie bei ihm. Die Sauenhaltung wird komplett aufgegeben. Die Folgen sind den Medienvertretern klar geworden: Die ehemals gut funktionierende, regionale Produktionskette mit Tannen, seinem Jungsauenlieferanten Johannes Steffens, den Ferkelaufzüchtern Eden und dem Mäster Niemand hat damit ein Loch. Irgendwann kommen alle Ferkel aus den Niederlanden oder Dänemark.
Christa Diekmann-Lenartz