Nach der Milchkrise ist vor der Krise

Nach der Milchkrise ist vor der Krise - Foto: Landvolk Friesland/Wilhelm
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Am „Tag der Milch“ versammelten sich 800 Teilnehmer zur zentralen Kundgebung des Landvolks in Varel. Ihre Botschaft: „Das Wir macht uns stark!“ In Berlin ging es zeitgleich um die Schlussfolgerungen aus der Krisenbewältigung.
Es war ein eindrucksvolles Bild, das sich auf dem Hof von Hartmut Seetzen in Varel-Neuenwege (Kreis Friesland) bot: Mehr als 800 Gäste waren dem Aufruf von Landvolk, Landfrauen und Junglandwirten aus den Regionen Friesland und Wesermarsch gefolgt. Die Gemeinschaft, die als Aktionsbündnis Milch auftritt, hatte das Motto „Das Wir macht uns stark“ zum Tag der Milch ausgerufen.

Tierarzt und Bank dabei

Rund 40 Partner aus dem vor- und nachgelagerten Bereich – von Tierärzten bis zur Genossenschaftsbank – unterstützen die Veranstaltung, um die Bedeutung der Landwirtschaft als Wirtschaftsfaktor zu untermauern. Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) betonte, wie wichtig der Agrarsektor für die Arbeitsplätze in Niedersachsen sei.
Die Junglandwirte forderten von der Politik einmal mehr verlässliche Rahmenbedingungen und eine angemessene Entlohnung. Was an dem Abend deutlich wurde: Eine Sorge belastet die Bauern mehr als die Preisschwankungen. „Es ist schwer, mit den Diffamierungen und belastenden Medienberichten umzugehen“, fasste ein Teilnehmer die Stimmungslage zusammen.
Das Thema Milch beschäftigte am 1. Juni auch die Berliner Politik. Vor genau einem Jahr, auf dem Höhepunkt der Krise, hatte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt alle Marktbeteiligten zum 1. Milchgipfel zusammengetrommelt. Wege aus der Krise sollten beraten werden. Jetzt folgte Milchgipfel Nummer zwei.  Der CSU-Politiker zog vor allem für seinen Anteil an der Krisenbewältigung eine positive Bilanz. Ein Hilfspaket von „100 Millionen plus X“ wurde damals auf dem Deutschen Bauerntag in Hannover gefordert – alle EU- und Bundesmittel zusammengenommen, flossen (und fließen noch) rund 581 Mio. Euro Liquiditätshilfen, Mengenreduzierungsprämien, Zuschüsse zur Unfallversicherung und Steuererleichterungen. „Ich habe geliefert,“ sagte Schmidt selbstbewusst vor Journalisten.
Zugleich räumte er ein, es bleibe auch bei ihm das „ungute Gefühl“, bei der nächsten Krise wieder nicht ausreichend vorbereitet zu sein.

„Systemfrage“ klären

„Die Strukturen sind noch dieselben“, sagte der Minister und mahnte die Wirtschaft, endlich die „Systemfrage“ zu klären, also Lieferbeziehungen so zu gestalten, dass die „Sprunghaftigkeit der Märkte“ nicht ungedämpft auf ihn durchschlägt.
 Die Branchenvertreter zogen ganz unterschiedliche Schlussfolgerungen aus dem „Milchbericht 2017“, den der Minister auf dem Milchgipfel vorgelegt hat. Karsten Schmal vom Deutschen Bauernverband (DBV) rief dazu auf, die strukturellen Defizite im genossenschaftlich geprägten Milchsektor zu beseitigen. Lieferbeziehungen müssten endlich neu ausgerichtet werden. Schmal rief die Molkereien zu aktiverem Handeln auf. Die anstehende Übernahme der ehemals größten süddeutschen Genossenschaft Omira durch den französischen Privatkonzern Lactalis ist für den Präsidenten des Hessischen Bauernverbandes „mehr als ein Weckruf“. Die in Brüssel anstehende Überarbeitung der Gemeinsamen Marktorganisation könne die Modernisierung der Preisgestaltung  unterstützen.
Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) jedoch lehnt die Anpassung der EU-Vorschrift ab. Er warnte davor, die Andienungs- und Abnahmepflicht in Frage zu stellen. Sowohl der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) als auch die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) halten eine stärkere Regulierung für unerlässlich.
AbL-Milchsprecher Ottmar Ilchmann bescheinigte dem Bundeskartellamt, mit seinem Pilotverfahren gegen das Deutsche Milchkontor (DMK) „richtig Bewegung“ in die festgefahrene Diskussion zu bringen. Kartellamtspräsident Andreas Mundt habe beim Milchgipfel „in erfrischender Klarheit“ zu erkennen gegeben, an welchen Stellen die Behörde Handlungsbedarf sehe, um mehr Wettbewerb um die Milch zu erreichen. Laut Ilchmann bedarf es dringend gesetzlicher Änderungen in der EU und im Bund. 
ste/sl/AgE