„Bürgschaften werden jetzt dringend gebraucht“

Bürgschaften werden jetzt dringend gebraucht - Foto: Landpixel
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Interview An allen Märkten stehen die Preise unter Druck. Die Betriebsleiter bewahren die Ruhe, erwarten jetzt aber konkrete Unterstützung. Zur Lage sprachen wir mit dem Präsidenten des Landvolkes Niedersachsen, Werner Hilse.

Wie nehmen Sie die Stimmung auf den Höfen wahr?
Alle Landwirte fragen: Wann endet die Krise? Speziell jüngere Landwirte und Hofnachfolger überlegen sich, welche Perspektiven ihnen die Landwirtschaft noch bieten kann. Die Situation muss als dramatisch bezeichnet werden, bei vielen Höfen geht es an die Substanz. Die Familien überlegen, ob sie ihren Hof umorganisieren sollen oder gar ganz aufhören. Beängstigend ist die erstaunliche Ruhe; die Landwirte begehren in dieser schwierigen Lage nicht auf.

Die Betriebsleiter erwarten in dieser Situation Unterstützung. Von wem könnte sie kommen?
Das Landvolk, der Deutsche Bauernverband und der Europäische Bauernverband COPA machen massiv Druck bei den Verantwortlichen. Aktuell geht es um ein weiteres Hilfspaket der EU, das mit mindestens zwei Milliarden Euro ausgestattet sein sollte. Oberste Priorität genießt die Liquidität. In Deutschland benötigen wir unbedingt Ausfallbürgschaften, damit Höfe, die dringend Darlehen benötigen, von ihren Banken noch Kredite erhalten.

Was könnte das Land tun?
Fangen wir damit an, was nicht geht: den Landwirten zusätzliche Belastungen aufbürden.  Bei der Düngeverordnung appellieren wir an das Land, auch über den Bundesrat aktiv zu werden. Nachrüstungen in zusätzliche Lagerstätten sind unter den derzeitigen wirtschaftlichen Bedingungen absolut nicht leistbar. Überhaupt kein Verständnis gibt es für die erneute Verspätung bei den Greening-Zahlungen, zumal die EU ihre Anforderungen bei den Auszahlungsmodalitäten gelockert hat. Das Land hat die Betriebe noch nicht mal über die erneut verschobene Auszahlung informiert! In dieser prekären Lage finden wir das unverantwortlich, immerhin sind fast zehn Prozent der Höfe betroffen. Alle anderen Bundesländer konnten die Zahlungen fristgerecht leisten, das Agrarland Niedersachsen nicht. Das ist beschämend.

Wie kann die Bundesregierung daran mitwirken, die schwere Agrarkrise zu überwinden?
Es gibt viele Ansatzpunkte, zum Beispiel bei den Steuerzahlungen. Die Vorauszahlungen basieren auf Gewinnen früherer Jahre. Hier wären weitere Stundungen ohne großen Nachweis eine echte Erleichterung. Darüber hinaus muss es möglich sein, die Rückzahlungen der Liquiditätskredite über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren von der Besteuerung auszunehmen. Wir brauchen Unterstützung bei der Erschließung neuer Exportmärkte, gerade Niedersachsen lebt vom Export! Auch im Kartellrecht benötigt der Erzeuger mehr Schutz, wie bei den sogenannten Best-Preis-Klauseln und der Definition der marktbeherrschenden Stellung. Verstöße müssen stärker sanktioniert werden. Uns ist bewusst, dass es ein langer und schwieriger Weg ist, aber die Politik muss hier konkrete Änderungen auf den Weg bringen. Dem Bundeswirtschaftsminister scheint die Fusion der Lebensmittelriesen Edeka und Tengelmann wichtiger zu sein als der Erhalt bäuerlicher Familienbetriebe. In einer sozialen Marktwirtschaft müssen die Rahmenbedingungen der Märkte aber auch das langfristige Überleben der Bauern sichern.

Erwarten Sie Unterstützung von Verbraucherseite?
Ganz eindeutig ja. Die Bürgerinnen und Bürger möchten die Landwirte unterstützen, das hören wir immer wieder. Wir müssen noch mehr herausstellen, dass alle Glieder der Lebensmittelkette wirtschaftlich erfolgreich sein müssen.

Wo sehen Sie die EU gefordert?
Das Instrument der Marktmaßnahmen lässt hier Hilfen zu. Beispielsweise könnte zeitlich befristet der Interventionspreis für Milch angehoben werden. Über die Lebensmittelhilfe hinaus könnten in Länder mit Nahrungsknappheit mehr Exporthilfen zu humanitären Verbesserungen führen. Und dann geht es natürlich um ein weiteres Liquiditätshilfeprogramm.

Gibt es für den einzelnen Landwirt Spielraum, die Krise aus eigener Kraft zu überstehen?
Grundsätzlich sind die Betriebe gut aufgestellt, die sprichwörtlichen kleinen Schrauben sind weitgehend ausgereizt. Das befreit natürlich niemanden davon, eventuelle Schwachstellen auszuloten. Beispielsweise kann jeder Betriebsleiter hinterfragen, ob das letzte Kilogramm Kraftfutter sinnvoll ist, oder ob vielleicht einzelne Betriebszweige ausgelagert werden können, die bei hohen Pachtpreisen nicht mehr sinnvoll sind, und damit Flächen für andere Nutzungen freisetzen.

Ist die Forderung nach Eingriffen in den Markt opportun?
Die staatliche Lenkung der Märkte hat weder mit der Quote noch in der DDR funktioniert, aber jeweils viel Geld gekostet. Die Vertragsbeziehungen zwischen Molkerei und Landwirt müssen wir sicherlich überprüfen und auch flexibler gestalten. Das muss aber im Zusammenspiel von der Molkerei und ihren Lieferanten geregelt werden.

Womit können die Betriebsleiter noch sicher kalkulieren?
Tröstlich bleibt: Gegessen und getrunken wird immer! Die Höhen und Tiefen im Markt aber werden extremer und dauern länger, das politisch verursachte Risiko steigt. Allerdings sind die Direktzahlungen aus Brüssel eine feste Größe und für die Betriebe eine Sicherheit, an der nicht gerüttelt werden darf.

Welche Zukunftssorgen treiben Sie um?
Ich habe die große Sorge, dass Betriebe aufgeben, die gesellschaftlich gewollt sind, oder Höfe, die dank Investitionen als zukunftssicher galten. Die derzeitige Situation wird Strukturbrüche nach sich ziehen und vernichtet Kapital. Leider können wir zurzeit an den Märkten noch keine Entwarnung erkennen.

Betrifft die Krise nur die Landwirtschaft?
Der gesamte ländliche Raum mit Handwerk, Handel und Dienstleistungsbranche leidet mit. Unsere Dörfer drohen öder zu werden. Als umso erfreulicher werte ich es, wenn führende Landespolitiker wie Ministerpräsident Weil oder Landtagspräsident Busemann sich öffentlich zur Landwirtschaft bekennen. Mein Apell geht an alle Gesellschaftsgruppen, sich dem anzuschließen und damit dafür Sorge zu tragen, dass die Preisspirale eine Umkehr erfährt. Ganz nach dem Vorbild und in der Anlehnung an die Aussage des Astronauten Neil Armstrongs: Zehn Cent fürs Kilo mehr ist für den Verbraucher ein kleiner Schritt, aber ein großer für die Bauern. Diese Unterstützung erwarten die Landwirte und gerade unsere jungen Bäuerinnen und Bauern, die in der öffentlichen Wahrnehmung wieder Per­spektiven erkennen wollen!
Interview: Ralf Stephan