Gerichtsurteil Drei Tierschutzaktivisten sind 2013 in einen Stall eingedrungen, um dort zu filmen. Zwei Gerichte hatten die Angeklagten freigesprochen. Jetzt hat das Oberlandesgericht Naumburg diese Entscheidungen in letzter Instanz bestätigt.
Tatort Schweinestall: Drei Tierschutzaktivisten der Organisation „Animal Rights Watch“ überwinden 2013 die Umzäunung einer Mastanlage mit 60.000 Tieren in Sachsen-Anhalt und betreten über geöffnete Türen die Ställe, um dort zu filmen. Das Unternehmen zeigt die zwei Männer und eine Frau später wegen Hausfriedensbruchs an.
Das Amtsgericht Haldensleben stellte damals zwar einen Hausfriedensbruch fest, wollten aber keine Strafe aussprechen, „da das Handeln der Angeklagten wegen Notstandes nach § 34 Strafgesetzbuch (StGB) gerechtfertigt gewesen ist“. Denn der betroffene Betrieb habe tatsächlich gegen Regelungen der Tierschutznutztierverordnung verstoßen, insbesondere, weil die Kastenstände zu klein gewesen seien.
Das Gericht argumentierte seinerzeit, dass diese Missstände bei vorherigen Kontrollen der zuständigen Behörden nicht moniert worden waren und sich eine Anzeige bei den zuständigen Behörden nach den bisherigen Erfahrungen der Angeklagten nicht als erfolgversprechend erwiesen hat. Dieser Auffassung hatte sich das Landgericht Magdeburg 2017 im Berufungsverfahren angeschlossen.
Vergangene Woche Donnerstag standen die drei Aktivisten erneut vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft hatte Revision gegen das Urteil des Landgerichts eingelegt. Die Anklagebehörde hatte für die Tierschützer wegen des Hausfriedensbruchs Geldstrafen gefordert. Einen Notstand erkannte die Anklage nicht und verwies darauf, dass erst Monate nach dem Eindringen in den Stall Strafanzeige gegen die verantwortlichen Personen des Betriebs erstattet wurde.
Nun, fünf Jahre nach dem Vorfall, steht fest: Eine Strafe für sein Tun muss das Trio nicht mehr fürchten. Das Oberlandesgericht Naumburg hat die beiden Freisprüche der Vorinstanzen bestätigt, sie sind damit rechtskräftig.
Das Gericht meint, die Angeklagten hätten schwerste und dauerhafte Missstände aufgedeckt, einen Notstand, der kaum zu überbieten sei. Dies rechtfertige die Verletzung des Hausrechts, das Tierwohl sei höher einzuschätzen. Sie hätten mit ihren Aufnahmen Beweise gesichert und damit dafür gesorgt, dass „endlich etwas geschah“, begründete der Vorsitzende Richter die Entscheidung. Staatliche Stellen hätten auf Anzeigen nicht ausreichend reagiert.
Zugleich betonte er, das Urteil sei „kein Freibrief für tatsächliche oder selbst ernannte Tierschützer“. Eine Notstandshandlung dürfe nur dann begangen werden, wenn es keine andere Möglichkeit gebe und massive Rechtsverstöße vorlägen. Nach Angaben eines Gerichtssprechers dürfte das Urteil das erste seiner Art sein, das von einem Oberlandesgericht in Deutschland gesprochen wurde.
Die Richter wiesen in ihren Urteilen darauf hin, dass private Wohnbereiche einen höheren Schutz genießen als gewerbliche Stallungen. Weil das Ergebnis der Abwägung zugunsten des Tierwohls ausfalle, hätten die Aktivisten auch das entstandene Filmmaterial verwerten dürfen, obwohl es unter Verletzung des Hausrechts des betroffenen Betriebs entstanden war.
Cornelia Krieg/dpa
Reaktionen auf das Urteil
Der Interessenverband der Schweinehalter Deutschlands (ISN), der bereits das Berufungsurteil scharf kritisiert hatte, sieht in dem Urteil einen „traurigen Tag für den Tierschutz und für alle rechtschaffenen Landwirte“. Es sei schade, dass die Persönlichkeitsrechte der Landwirte, ihrer Familie und ihrer Mitarbeiter scheinbar keine Rolle spielten. Der ISN setzt auf die Umsetzung des Koalitionsvertrags in Berlin, in dem Einbrüche in Tierställe künftig als Tatbestand geahndet werden sollen. Er appelliert an die Justiz: „Lassen Sie nicht zu, dass hier ein System neben dem des deutschen Rechtsystems entsteht.“
Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes hält den Freispruch der Tierschutzaktivisten für einen Skandal: „Das Urteil ist eine Bankrotterklärung (…) Es ist ein Trugschluss, dass es bei diesem illegalen Eindringen in Ställe um den Tierschutz geht“. Die Kontrolle der Einhaltung von Tierschutzbestimmungen obliege den zuständigen staatlichen Behörden und nicht der Selbstjustiz interessierter Gruppen.
Rechtsanwalt Harald Wedemeyer vom Landvolk Niedersachsen verweist ebenfalls darauf, dass es nicht die Aufgabe privater Personen ist, rechtliche Bestimmungen zu kontrollieren und durchzusetzen: „Es darf sich niemand straffrei in fremde Wohnungen oder Betriebseinrichtungen begeben, um eventuelle Missstände aufzudecken. Das ist Sache der Polizei und der Staatsanwaltschaft.“