Gänse sind knapp und ihre Halter kämpfen ums Überleben

Gänse
Aufgrund der Vogelgrippe mussten viele Mastgänse gekeult werden. Das neue Biosicherheitskonzept soll Hilfestellung geben. Foto: Landpixel

Keulungen wegen Geflügelpest / Özdemir verwehrt höhere Entschädigungszahlungen

L P D – Wer zu St. Martin oder zum Weihnachtsfest eine frische, deutsche Gans auf dem Tisch haben möchte, der sollte sich jetzt schnellstens darum kümmern. „Wir rechnen damit, dass es dieses Jahr 25 bis 30 Prozent weniger deutsche Gänse auf dem Markt geben wird. Aufgrund der Geflügelpest (Aviäre Influenza – AI) mussten allein in diesem Sommer in Niedersachsen 16.000 Mastgänse und in Deutschland insgesamt 40.000 Gänse gekeult werden. Diese stehen daher in diesem Jahr nicht zur Verfügung“, erklärt Dieter Oltmann, Geschäftsführer des Landesverbandes der Niedersächsischen Geflügelwirtschaft. Hinzu kommen noch erhöhte Kosten für Futtermittel, sodass Experten davon ausgehen, dass die Festgans im Hofladen bis zu 35 Prozent mehr kosten wird. Auch im Großhandel wird der Preis pro Kilogramm gefrorener deutsche Gans zwischen 50 und 80 Prozent höher liegen“, teilt der Landvolk-Pressedienst mit.

Wie schwer es Gänsehalter aktuell haben, zeigt Iris Tapphorn auf. „Die Geflügelpest sorgte durch das erstmalige Auftreten im Sommer für massive Probleme in der Haltung der Tiere. Gänse sind nun einmal Weidetiere, die auf die Wiese gehören – so, wie es der Verbraucher und die grünen Politiker auch fordern“, schildert Iris Tapphorn vom gleichnamigen Gänsehof. Aufgrund der Aufstallungsanordnung im Sommer durch die Geflügelpestfälle im Landkreis Vechta waren alle Halter in den AI-Sperrzonen vom Gesetzgeber her verpflichtet, die Tiere sofort in den Stall zu sperren. „Weil Stallflächen lediglich der Aufzucht dienen, haben wir Mäster bei fortschreitendem Wachstum der Tiere zwangsläufig das Tierwohl vernachlässigt. Und bei 35 Grad im Hochsommer Tiere räumlich stark begrenzt aufzustallen, geht für mich ethisch einfach nicht. Auf ein endemisches Seuchengeschehen kann man sich nicht vorbereiten. Wir hatten die Wahl zwischen Pest und Cholera: Sperre ich die Tiere ein, verstoße ich gegen den Tierschutz, wäre aber den Seuchenschutzauflagen nachgekommen und somit versichert. Folge ich dem Tierschutzgedanken und schicke die Tiere auf die Weide, verstoße ich gegen die Seuchenschutzauflagen und bin nicht mehr zu 100 Prozent versichert. Ich stehe quasi immer mit einem Fuß im Gefängnis, denn es gibt für mich als Landwirtin keine Möglichkeit, allen gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden“, erklärt die 35-Jährige, deren gesamter Bestand von 2.400 Gänseelterntieren vergangenes Jahr aufgrund der Vogelgrippe gekeult werden musste. Da sie aber als Züchterin eine Genreserve ausgelagert hatte, konnte Tapphorn schnell wieder eine neue Elterntierherde aufbauen.

Tapphorn schätzt, dass aufgrund der gekeulten Gänse das Angebot zu Weihnachten sehr verknappt sein wird. Weil Gänse zu Anfang und Ende der Mast zugefüttert werden und die Kosten für Futtermittel um bis zu 80 Prozent gestiegen sind, werde der Kilopreis um drei bis fünf Euro wohl angehoben. „Das reicht aber gerade mal, um die Kosten zu decken. Von einem Gewinn ist dabei noch nicht die Rede“, so die Gänsexpertin aus Brockdorf bei Lohne, die für alle Gänseprodukte eine Kennzeichnungspflicht fordert. „Die Stopfmastproduktion aus dem Ausland muss endlich als Qualzucht gekennzeichnet werden. Der Verbraucher muss auf einem Blick erkennen können, ob er eine osteuropäische Gans aus einer Qualhaltung für das Weihnachtsfest kauft oder eine deutsche artgerecht gehaltene Weidegans erwirbt“, fordert Tapphorn. „Wir haben aufgrund unserer höheren Tierwohlstandards erheblich höhere Kosten, alle Gänsehalter kämpfen aufgrund der Keulungen aktuell um ihre Existenz sowie um das Überleben der Gänsegenetik. Statt der von der Tierseuchenkasse (TSK) gezahlten 50 Euro pro gekeultem Gänseelterntier müssen wir 110 Euro bekommen, um für Zuchtgänse annähernd den tatsächlichen Tierwert entschädigt zu bekommen“, zeigt die Gänsehalterin auf. NRW, Niedersachsen und alle Tierseuchenkassen sind für die Erhöhung des höheren Entschädigungsbeitrages aus der TSK, aber die drei Koalitionspartner der Bundesregierung haben die Erhöhung bereits mehrfach abgelehnt und wehren jeglichen Austausch von Argumenten oder Informationen ab“, zeigt sich Iris Tapphorn enttäuscht vom Umgang des Bundeslandwirtschaftsministeriums mit Fachleuten der Gänseszene. Sie befürchtet, dass auch viele der Bio-Gänsebetriebe demnächst nicht mehr mit Küken beliefert werden können. Zudem widerspreche dieses Verhalten den Zielen, die die derzeitige Regierung anstrebe. „Die deutsche Gänsehaltung erfüllt bereits alle geforderten Standards der neuen Ampelregierung und bräuchte nun, um diese zu Standards halten zu können, dringend die Unterstützung der Regierung bei der Änderung der TSK-Entschädigungen.“

Mit Hochdruck wird nach Impfstoffen gegen die Geflügelpest geforscht, denn bislang gibt es für die EU keinen zugelassenen Impfstoff. Doch selbst wenn es einen geeigneten Impfstoff zeitnah geben würde, müssten in der EU erst noch die Änderung der Rechtsprechung sowie Vermarktungsstrategien auf den Weg gebracht werden, damit geimpftes Geflügel ohne Einschränkungen auch vermarktet werden könne, schildert Dieter Oltmann die Lage. Der Druck komme aus allen europäischen Ländern, die von der Geflügelpest betroffen sind. (LPD 83/2022)

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