Lasst uns reden – nicht nur zu Erntedank!

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Erntedankbotschaft von Landvolkpräsident Albert Schulte to Brinke

L P D – Erntedank – ein Fest mit freudigem Anlass? Gilt das heute noch? Können sich Bäuerinnen und Bauern im Jahr 2019 noch über die eingebrachte Ernte freuen? Viele Fragen bewegen uns Landwirte, nicht nur zum Ende des landwirtschaftlichen Erntejahres, sondern jeden Tag aufs Neue. Es ist nicht nur die große Sorge vor der Zukunft, die unsere bäuerlichen Familien nach einer ganzen Serie schwieriger Jahre umtreibt. Wir haben alles gegeben: Den Boden bereitet, gesät und gepflegt und dennoch fiel die Ernte für Viele von uns enttäuschend aus. Die trocken-heiße Sommerwitterung hat erneut ihren Tribut am Ertrag gefordert. Dazu kommen geringe Spielräume in der Vermarktung. Wir sind eingebunden in globale Märkte, die spielen uns zurzeit nicht gerade in die Hand. Neben dem Ertrag enttäuschen auch noch die Preise. Da kann es schwerfallen, dankbar zu sein.

Damit habe ich bisher nur die landwirtschaftliche Bilanz angesprochen. Noch weitaus zwiespältiger fällt diese aus, wenn wir das gesellschaftliche Umfeld einbeziehen. Wir Landwirte werden auf unseren Höfen und in unseren Dörfern zunehmend kritisch beobachtet. Von der Saat bis zur Ernte oder von der Geburt eines Kalbes bis zum Joghurt oder Käse im Supermarktregal wird unsere Arbeit auf den Prüfstand gestellt. Einige unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger erklären uns, wie wir unsere Tiere zu halten haben, wie wir auf dem Acker mit weniger Chemie auskommen und das Klima schützen sollen. Es bleibt nicht bei klugen Ratschlägen, sondern wir sehen uns mit einer großen Zahl sehr konkreter Forderungen konfrontiert.

Die Politik hat ihr Ohr hart an Volkes Mund oder, moderner formuliert, das Auge auf den Push-Meldungen des Smartphones. Was heute Morgen noch vage diskutiert wird, erreicht uns am Abend schon als neue Gesetzesinitiative.  Die Folge sind politische Vorgaben – Stichwort Agrarpaket der Bundesregierung – die uns Landwirte zutiefst beunruhigen. Wir sollen strengere Vorschriften erfüllen, aber niemand, weder Verbraucher noch Politik, will dafür das Portemonnaie aufmachen. Wir müssen größere Risiken schultern, von denen uns niemand etwas abnehmen will. Wir hören gute Ratschläge wie „weniger Tiere, mehr Bio, Nischen besetzen“. Den unsicheren Weg in das betriebswirtschaftliche Wagnis sollen wir allein ausloten.

Das empfinden wir Landwirte und unsere Familien und Mitarbeiter zu Recht als Zumutung. Ich erlebe viel Enttäuschung und Ohnmacht in den Gesprächen mit unseren Bäuerinnen und Bauern. Sie fühlen sich missverstanden, abgehängt, vorverurteilt. Die Gesellschaft darf nicht untätig zuschauen, wie sich ständig mehr Frust aufbaut. Lasst uns sprechen! Auch wir Bauern haben das Ohr am Kunden! Lasst uns überlegen, wie wir gemeinsam zu den uns allen wichtigen Zielen kommen – beim Tierwohl, beim Insektenschutz, beim Klimawandel. Lasst uns gemeinsam den richtigen Weg finden! Uns Bauern bleibt es ein wichtiges Anliegen, dem Schöpfer Danke zu sagen. Wir laden alle Menschen ein, sich in diese Tradition mit einzubeziehen – auf dem Land und noch mehr in unseren Städten. (LPD 74/2019)