Beständigkeit statt Wechsel

Beständigkeit statt Wechsel -

EIN KOMMENTAR VON Gabi von der Brelie

Älter, gebildet und gut informiert, der jugendliche Rebell hat sich zum informierten Gegenexperten gewandelt. Besonders auffällig geworden ist der neue Typ des Bürgerprotests bei Stuttgart 21, jetzt hat der Göttinger Demokratieforscher Franz Walter sich bei verschiedenen Protestbewegungen umgehört und die Interviews analysiert. Er und sein Team haben erstaunliche Daten veröffentlicht: Der gut ausgebildete Naturwissenschaftler im Ruhestand, gern ohne Kinder, nutzt sein Wissen, seine Zeit und seine wirtschaftlich abgesicherte Situation, um sich gegen bestimmte Projekte oder politische Entscheidungen in Stellung zu bringen. Die Göttinger Forscher arbeiteten in ihrer Studie zugleich ein Dilemma heraus, dass sich aus Kritik an der angeblichen „Scheindemokratie“ und der Sehnsucht nach mehr Engagement ergibt: Der Wunsch nach vielfacher Bürgerbeteiligung macht Entscheidungsprozesse nicht nur komplizierter und langsamer, sondern endet leider auch oft vor Gericht.

Kritische Einwände und gesunde Skepsis müssen nicht dem blinden Fortschrittglauben weichen, aber der organisierte Vorbehalt gegenüber Neuem kann ein Land auch lähmen. Landwirte müssen sich nahezu tagtäglich anhören, dass es auf dem Bauernhof früher besser war. Der Bauer aber weiß, dass dies nicht für seine Tiere zutrifft, nicht für seinen Acker und schon gar nicht für seine Mitarbeiter und seine eigene Arbeitskraft. Innovationen, vom Trecker bis zum GPS-gesteuerten Düngerstreuer, moderne Melktechnik und andere Erfolge der Ingenieurskunst nutzen Mensch, Tier und Natur. Diese Erkenntnis können Wutbürger gewinnen, wenn sie nachfragen und sich nicht von vorgefassten Meinungen leiten lassen.

Der junge Rebell wurde dereinst mit dem Hinweis gemäßigt, gegen­über dem Alter ein Mindestmaß an Respekt zu zeigen. Heute kündigen ergraute Protestler den Generationenvertrag, wenn sie gegen den Fortschritt mobil machen und Veränderungen scheuen. Der Staat kann das Wissen, die Ideen und nicht zuletzt die beträchtliche Energie, die hinter dem Engagement der Bürger stehen, nutzen, schlussfolgern die Göttinger Forscher. Sie hätten hinzufügen sollen, dass dazu auch der demokratische Abwägungsprozess gehört. Die eher Leisen und Zurückhaltenden in der Gesellschaft dürfen nicht übervorteilt werden. Arthur Schopenhauer sagte: Der Wechsel allein ist das Beständige. Dem sollte sich eine moderne Gesellschaft nicht verschließen und den Blick nach vorn richten.
Gabi von der Brelie